Beziehung Sephiroths zu Jenova

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Eine der am meisten debattierten Fragen von Final Fantasy VII betrifft die Beziehung zwischen Jenova und Sephiroth. In die englischsprachige Fan-Welt ging diese Frage als Puppet Master Theorem ein. Kern der Auseinandersetzung ist dabei, ob nun Jenova Sephiroth kontrolliert und benutzt (sie also “Puppenspielerin” ist) oder aber Sephiroth der “Puppenspieler” ist, der sich Jenova und ihre Fähigkeiten Untertan gemacht hat.

Die erste Sichtweise stammt von John Brittenham und wird vor allem von Anhängern seiner berühmten Interpretation “Final Fantasy VII Mythologies” vertreten. Doch mindestens genauso viele Anhänger – insbesondere seitdem dies durch “Ultimnia Omega” und die “Compilation of Final Fantasy VII” bestätigt wurde – hat die These, dass Sephiroth Jenova kontrolliert, gefunden.

Zuletzt wurde aber die Frage aufgeworfen, ob man überhaupt von einer “Marionette” und ihrem “Puppenspieler” sprechen kann. Ist das ganze Puppet Master Theorem nicht eher ein reines Konstrukt, welches gar nicht im Spiel zu finden ist? Davon gehen neuere Ansätze aus, die die Kontinuität zwischen Jenova und Sephiroth betonen. Demnach könnte Sephiroth eine Art “Jenova 2.0″ sein, bzw. beide arbeiten Hand in Hand, da sie ähnliche Ziele verfolgen.

Aufklärung über diese Frage wird hoffentlich dieser Artikel bringen, in dem die verschiedenen Ansätze vorgestellt und kritisch überprüft werden.

Die klassischen Theorien

Jenova kontrolliert Sephiroth

Dies ist die über viele Jahre hinweg hauptsächlich vertretene Meinung gewesen. Sie beruht wie erwähnt auf der Brittenham-Interpretation und stellt Jenova als das einzige und übergroße Übel hinter allen Vorgängen von Final Fantasy VII dar. Demnach habe das Alien-Wesen bewusst die gesamte menschliche Gesellschaft bzw. im besonderen den ShinRa-Konzern infiltriert und zielstrebig auf die Erschaffung Sephiroths, der ihr neuer Körper sein sollte, hingearbeitet.

Sephiroth: Ohne Jenova ein Nichts?

Dieser Ansatz beruht auf einigen Ungereimtheiten, die Sephiroths Verhalten betreffen: Angefangen bei dem merkwürdigen Umstand, dass es dem „kleinen und schwachen Cloud“ in Nibelheim gelingt den „großen Sephiroth“ zu besiegen, indem er ihn über die Brüstung in den brodelnen Mako-Pool wirft. Dies ist umso erstaunlicher, als dass Sephiroth Cloud zuvor auf seinem Schwert aufgespießt hat. In einem schier unglaublichen Kraftakt zieht Cloud die Masamune aus seinem Körper und schleudert das Schwert mitsamt seinen Träger in den Abgrund! Die Brittenham’sche Interpretation dieser These: Sephiroth ist in Wirklichkeit ein Schwächling, der nur durch Jenovas Macht zusammengehalten wird; da Jenova in den Lebensstrom gelangen will, opfert sie Sephiroth und lässt Cloud gewähren.

Als weitere Begründung dient Brittenham der Zweikampf zwischen Cloud und Sephiroth (nach dem Kampf gegen den „One Winged Angel“): Cloud zerfetzt seinen Gegner förmlich, der zu keiner Gegenwehr fähig ist. Das Argument: Jenova ist vergangen, dies ist der wahre menschliche Sephiroth, ohne Jenova ein Schwächling.

Es ist aber ein Missverständnis, dass Cloud schwach ist: Er hat vermutlich schon als Kind psychische Probleme gehabt und wurde aus diesem Grunde bei SOLDAT abgewiesen; aber dass er körperlich schwach ist, wird so nie gesagt. Insofern ist es keine so große Überraschung, wenn Cloud – schwer verwundet, unglaublich zornig – scheinbar übermenschliche Kräfte entwickelt und den gleichfalls verwundeten und somit geschwächten, aber siegesgewissen Sephiroth übertölpelt. (Arroganz ist ein Fehler, der schon viele zu Fall gebracht hat.)

Was den letzten Kampf angeht: Es ist nicht sicher, dass dieser in der Realität stattfindet (mehr hier). Insofern scheint es unangebracht, einen Kampf, den Cloud u.U. nur in seinem Kopf führt als Beweis dafür anzuführen, dass Sephiroth ohne Jenova ein Niemand ist.

Als Jenova spricht… und sich offenbart

Ein anderer Hinweis ist laut Brittenham die Stelle, an der Jenova direkt zu Cloud spricht und ihn eine Marionette nennt. Hier offenbare sich der wahre Bösewicht des Spiels auf unscheinbare Weise, indem das Wesen Cloud (und allen anderen) vorführte, wer alles kontrolliert: nämlich es selbst, Jenova. Umgekehrt kann man aber entgegen, dass Jenova die Marionette Sephiroths ist, die in Cloud einen Gleichen erkennt (er wird ebenfalls von Sephiroth manipuliert) und darum nach ihrer Niederlage schadenfroh Cloud mit dieser Tatsache konfrontiert. Drittens wäre aber denkbar, dass Jenova soweit geschwächt ist, dass sie ihre übliche Tarnung nicht mehr aufrechterhalten kann: darum spricht sie an dieser Stelle unverstellt als sie selbst und nicht als Sephiroth. Denn der vermeintliche Sephiroth, den man quer durch die Welt verfolgt, ist in Wirklichkeit der Torso Jenovas, der die Gestalt Sephiroths angenommen hat (mehr hier).

Weiterhin werden die letzten Kämpfe angeführt. So interpretiert Brittenham das Wesen, das aus dem Kopfe von „Bizarro Sephiroth“ heraus (oder hinein?) zu wachsen scheint als Jenova, deren Tentakeln wie bei einem Marionettenspieler die Bewegungen Sephiroths steuerten. Zudem sei die Farbgebung des Flügels des „One Wingend Angel“ die gleiche, wie bei den vier Jenova-Monstern aus dem Spiel, was ermögliche, Jenova als wahren Bösewicht zu identifizieren.

Schlussfolgerung

Im wesentlichen sind also die folgenden Argumente zu nennen:

  1. Sephiroth offenbart sich im Ernstfall als schwach. All seine Macht und seine besonderen Fähigkeiten hat er nur von Jenova geliehen.
  2. Der wahre Sephiroth ist fünf Jahre zuvor in Nibelheim gestorben. Der Sephiroth, den man verfolgt, ist in Wirklichkeit sie. Jenova hat Sephiroths Identität übernommen, um die Menschen zu täuschen. Darum ist auch alles, was im Tempel des Alten Volkes über die Vergöttlichung gesagt wird, ihr Plan.
  3. Die letzten Formen Sephiroths, „Bizarro“ und „Retter“ zeigen deutlich, dass Jenova Sephiroth kontrolliert.
  4. Jenova ist für alles Übel in der Welt verantwortlich: Man bedenke, dass ShinRa nur ein Waffenhersteller war, bevor man Jenova fand. Dann erst entwickelte die Firma den Plan, Mako herzustellen – was auf ihren Einfluss zurückgeht.

Zu Punkt 1 habe ich schon oben etwas gesagt. Man bedenke zudem, dass in Crisis Core die Nibelheim-Szene so abgeändert wurde, dass Sephiroth aus eigenem Willen in den Mako-Pool springt. Dies spricht noch stärker dafür, dass er seinen eigenen Willen hat und genau weiß, was er tut. Punkt 2 klingt plausibel, denn es ist ja tatsächlich Jenova, die man verfolgt, und die lauter falsche Fährten streut. Man muss sich allerdings fragen, warum sie von Sephiroth, der im Nordkrater ruht, angezogen wird, wenn sie doch die Puppenspielerin ist. Die Antwort lautet natürlich, dass Sephiroth den Wiedervereinigungsinstinkt übernommen hat, und Jenova ihm gehorchen muss. Punkt 3 ist spekulativ; dass Sephiroths Flügel Jenovas Farben trägt, lässt sich auch anders deuten – etwa, indem man sagt, dass Sephiroth die Weiterentwicklung der ursprünglichen Jenova ist (siehe unten). Und Punkt 4 schließlich, ein weiteres wichtiges Argument in Brittenhams Analyse (ich habe ihn oben nicht ausgeführt, lest einfach seinen Text) ist schlicht falsch. Brittenham konnte dies nicht wissen, aber die “Final Fantasy VII Series Timeline”, aus dem Buch 10th Anniversary Ultimania besagt eindeutig, dass Mako-Energie schon mehr als zehn Jahre vor Jenovas Entdeckung angewandt wurde.

Sephiroth kontrolliert Jenova

Dies ist der gegenteilige Ansatz, der damals schon ebensoviele Anhänger hatte und heute quasi als der einzig richtige anerkannt ist.

Was soll man hierzu noch groß sagen? Ich möchte zwei Schlüsselstellen aus dem Text „The Truth of Final Fantasy VII“ zitieren, den ihr bei uns in deutscher Fan-Übersetzung findet. Der Text ist im erwähnten Ultimania Omega veröffentlicht worden und gilt vielen als offizielle Bestätigung, dass Sephiroth über Jenova triumphiert hat:

Bemerkenswert ist auch Sephiroth selbst: Bevor er das Geheimnis um seine Geburt aufklärte, genoss er eine Körperkraft von legendärem Ruf, auf die er sich viel einbildete. Nachdem er sich von der Menschheit losgesagt hatte, fiel er indes nicht unter Jenovas Schatten, sondern verweigerte sich der Kontrolle. Schließlich gelang es ihm, über Jenova zu triumphieren und er zwang sie unter seinen Willen. Sephiroth erfuhr so eine ganz neue Art von Stärke.

Aufschlussreich ist auch diese Bemerkung, aus der man wohl schließen kann, dass Sephiroth die Fähigkeiten Jenovas übernommen hat, bzw. sie nach eigenem Gutdünken einsetzen kann:

Obwohl dies [die Wiedervereinigung]also eine Fähigkeit Jenovas war, ist es Sephiroth, der den Sephiroth-Klonen ihre Befehle erteilt.

Sofern man die Publikation Ultimania Omega nicht generell ablehnt oder aber die Fan-Übersetzung in Frage stellt (deren Verlässlichkeit kann natürlich nicht 100% gewährleistet werden), wird man nicht umhin kommen, die Herrschaft Sephiroths über Jenova anzuerkennen. Doch auch abseits von Ultimania Omega lassen sich plausible Argumente für die These finden, dass Sephiroth der Puppenspieler ist.

Auswege – Kooperation und Evolution

Nach all diesem Hin und Her hat sich noch eine dritte Position herausgebildet. Diese geht wohl auf die umfangreiche und sehr empfehlenswerte „Final Fantasy VII Plot Analysis“ von Squall of SeeD zurück. Dieser umfangreiche Text ist bei Gamefaqs erschienen. Der Autor betont die Kontinuität die zwischen Sephiroth und Jenova besteht und folgert, dass beide in Wirklichkeit eins sind. Sprich: Sephiroth ist die weiterentwickelte Form des Alienwesens.

Das ursprüngliche Puppet Master Theorem wird somit aufgelöst und ein ebenso einleuchtender wie eleganter Ausweg aus dem Dilemma „wer beherrscht wen?“ gefunden. Darüber mehr im letzten Teil dieses Artikels.

Wie sich Jenovas und Sephiroth‘ Ziele ergänzen

Rekapitulieren wir, was über Jenovas Ziele bekannt ist: Zerstören, sich reproduzieren, ihren Virus verbreiten, sich bereichern und Wiedervereinigung mit den eigenen Teilen (Zellen) anstreben. Egal ob Jenova nun selbst der Virus ist, oder nicht, offenbar gehört dies zu den Grundinstinkten dieses Wesens. In gewisser Hinsicht sind diese Ziele auch jene von Sephiroth. In Advent Children stellt er sogar selbst relativ unverblümt fest, dass er genau das gleiche tut, wie seine „Mutter“:

Es ist mein größter, innigster Wunsch Cloud, die Finsternis des Universums mit diesem Planeten als Raumschiff zu erforschen. So wie es unsere Mutter vor langer Zeit getan hat. […] Irgendwann werden wir in den Tiefen des Kosmos einen neuen Planeten entdecken und mit ihm eine neue leuchtende Zukunft.

Was will Sephiroth? Er will sich mit allen Seelen des Planeten vereinen und deren Macht in sich selbst aufnehmen. Kurz: Er strebt Göttlichkeit an, das ist gewiss.  Streben Viren also nach Macht, der absoluten Macht, der Vergöttlichung? Vielleicht in gewissem Sinne schon, schließlich ist es das “Ziel” jedes Viruses, sich zu verbreiten. Allerdings keinesfalls in dem Sinne, dass bewußt eine Vergöttlichung angestrebt würde. Dies ist zweifelsohne erst die Idee Sephiroths und geht über die Vorstellungskraft von Jenova heraus.

Trotzdem kann man sagen, und dies ist der Punkt, den Squall of Seed macht, dass Sephiroths Verlangen, selbst ein Teil von allem zu werden, von Jenova kommt und dass er ihre Absichten fortführt, mit verfeinerten Mitteln, wie sie einem Menschen gegeben sind.

Kooperation

Also decken sich die Ziele der beiden. Was will das besagen? Wäre Sephiroth die Marionette Jenovas, fiele die Antwort leicht. Aber dies kann man wohl ausschließen. Wenn Sephiroth seinen eigenen Willen hat, und dennoch das gleiche Ziel hat wie Jenova, gibt es zwei denkbare Gründe dafür:

Es sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass es bereits vor dem Artikel von Squall of SeeD Ansätze gab, den Jenova-Sephiroth-Dualismus aufzuheben, indem man eine Kooperation zwischen beiden unterstellte. Demnach hat Jenova das Ziel, ein Gott zu werden, wofür das Wesen den Planeten zerstören muss. Sephiroth wiederum unterstützt Jenova aus zwei Gründen: Der erste ist simpel, er will Rache nehmen an ShinRa und den Menschen. Der zweite liegt ebenso auf der Hand: Er ist mit Jenova durch ihre Zellen verbunden, ist ein Teil von ihr, so wie sie ein Teil von ihm ist. Wenn Jenova „Gott“ wird, wird auch er es. Rache und Machtstreben, zwei uralte Triebfedern für menschliches Handeln. Das klingt doch nachvollziehbar, oder nicht?

Es wurde zudem vermutet, dass Sephiroth Jenova täuscht, weil seine Rachegelüste sein Machtstreben übersteigen. Denn der Meteor geht über Midgar nieder, der Stadt ShinRas, und nicht am Nordkrater, wo Sephiroth bzw. Jenova darauf warten, „im Zentrum dieser Verletzung“ – so sagte Jenova im Tempel des Alten Volkes – „mit der gesamten Energie des Planeten [zu]verschmelze[n]“.

Sephiroth als „Jenova 2.0“

Die Idee von Squall of SeeD wurde im vorherigen Abschnitt schon angedeutet: Er ist mit Jenova durch ihre Zellen verbunden, ist ein Teil von ihr, so wie sie ein Teil von ihm ist. Demnach seien die beiden spätestens durch den gemeinsamen Aufenthalt im Lebensstrom (man erinnere sich: Sephiroth schlägt Jenovas Kopf ab und führt ihn mit sich) miteinander verschmolzen und zu ein und dem selben Lebewesen geworden. Jenova lebt also weiter, als der Mensch Sephiroth. Ein Mensch, der sowohl über alle Instinkte und Fähigkeiten des Ungeheuers verfügt, als auch über die menschlichen Gaben der planenden Intelligenz, des Sprechens und Denkens und des freien Willens. Kurz, Jenova hat durch die Experimente die ShinRa durchgeführt hat, mehrere Millionen Jahre Evolution übersprungen und ist durch Sephiroth schlagartig zu einer Art Übermensch geworden.

Weiter vergleicht der Autor Jenova und Sephiroth mit Gott und Jesus. Zumindest nach christlichem Glauben gibt es die Heilige Dreifaltigkeit, wonach – grob gesprochen – Gott, Jesus als menschgewordener Teil Gottes und der Heilige Geist alle Facetten ein und desselben höchsten Wesens sind. Ähnlich wäre es bei Final Fantasy VII: Jenova, Gott (der Name ist abgeleitet von JAHWE, dem jüdischen Namen Gottes), Sephiroth der menschgewordene Teil Jenovas und schließlich auch, der pervertierte Lebensstrom als eine Art Heiliger Geist.

Uff, ich höre viele aufstöhnen, wenn wieder solch ein Vergleich gebracht wird. Aber so sehr an den Haaren herbeigezogen ist dies gar nicht, wenn man bedenkt, wie stark in Final Fantasy VII mit judäo-christlichen Symbolen hantiert wird. Allein der Titel „Advent Children“ spielt schon auf den Advent, in der ursprünglichen Bedeutung die Ankunft bzw. Wiederkehr Christi, an. Und wessen Ankunft erlebt man in dem Film? Genau, die von Sephiroth.

Aber davon abgesehen, auch ohne diesen Vergleich hat der Gedanke, dass Sephiroth eine fortgeschrittene Version von Jenova ist, enorm Sinn.