Xenoblade Chronicles – Das Vermächtnis der Titanen

Info

(Vom 01.11.2011) Man kann sagen, was man will, aber die aktuelle Konsolengeneration sprühte nicht gerade vor guten japanischen Rollenspielen. Die wirklichen Highlights waren bisher Tales of Vesperia, Blue Dragon oder Lost Odyssey, und natürlich das sehr umstrittene Final Fantasy XIII. Da gab es zumindest auf den Handhelds schon ein bisschen mehr – Stichwort: Dragon Quest. Aktuell dürfen sich Wii-Besitzer an Xenoblade Chronicles erfreuen. Kann es denn überhaupt die ganzen hungrigen J-RPG Spieler befriedigen?

Groß, größer, Titanen

Zu Beginn des Spiels wird man mit einer imposanten Einführungssequenz begrüßt. Die Welt von Xenoblade besteht aus zwei riesigen Titanen. Bionis, die Heimat allem organischen Lebens, und Mechonis, welcher von mechanischen Wesen bevölkert wird. Vor langer Zeit tobte ein Kampf zwischen den beiden Titanen, solange bis sie sich gegenseitig stark verletzten und zum Stillstand kamen. Nun sind die beiden Titanen lediglich durch ihre Schwerter, welche den Bewohnern als Brücken dienen, verbunden. Eines Tages wird Bionis von den Mechon angegriffen, woraufhin sich die auf Bionis ansässige Menschenrasse, Homs genannt, zur Wehr setzt. Hier entsteht die Grundmotivation für den Anfang des Spiels und gleichzeitig des Tutorials.
Ein großer Pluspunkt wird bereits hier direkt klargemacht: Xenoblade ist dramatischer und spannender als so mancher Hollywood-Blockbuster. Vor allem die Inszenierung ist einfach fantastisch, besonders für die Wii, welche jetzt nicht gerade als Grafikmonster bekannt ist. Aber trotzdem dürfen auch Besitzer eines Full-HD Gerätes beruhigt sein, auch auf dem HD-Bildschirm sieht Xenoblade noch sehr gut aus. Auch die britischen Synchronstimmen passen bei den jeweiligen Charakteren wie die Faust aufs Auge. Dieser Eindruck ändert sich über die gesamte Spiellänge nicht.
Das Kampfsystem sieht auf den ersten Blick nicht nur überladen, sondern auch sehr action-orientiert aussieht. Bei näherer Betrachtung ist das Interface jedoch gut überschaubar und das Kampfsystem rundenbasiert, zumindest fast. Denn so wie es aussieht, hat Xenoblade sich einige MMO-Aspekte angeeignet. So attackieren alle Charaktere in einem gewissen Zeitraum immer automatisch und es lässt sich leicht die MMO-typische Einteilung in Damage Dealers, Tanks, Healer, Buffer etc. erkennen. Allgemein ist zu sagen, dass sich Freunde von Spielen wie World of Warcraft oder Runes of Magic ganz heimisch fühlen werden.

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Das Ausrüstungsmenü

Trotz dieser vielen Anlehnungen an Online-Spiele ist Xenoblade dennoch das genaue Gegenteil: Ein reinrassiges J-RPG für Einzelspieler. Denn, wie bereits oben erwähnt, ist das Kampfsystem zum Teil rundenbasiert. Das bedeutet, man hat eine Gruppe mit drei Charakteren, spielt einen davon als Hauptcharakter und wählt mit diesem während der Kämpfe konstant Aktionen aus, welche sich mit der Zeit mehr oder weniger schnell aufladen. Dies hängt wiederum davon ab, wie sehr man sie trainiert hat, welche Ausrüstung man trägt oder welches Juwel man gerade gesockelt hat. Rollenspieltypisch bietet Xenoblade hier viele Möglichkeiten, sich selbst die Werte, die einem persönlich wichtig erscheinen, zu erhöhen oder sie sogar zu verringern. Durch die verschiedenen Möglichkeiten kann man seine Art zu Kämpfen immer wieder neu variieren.
Dazu gibt es noch eine Gruppenleiste, die sich mit erfolgreich ausgeführten Spezialangriffen oder dem Helfen innerhalb der Gruppe füllt. Bei der durch die gefüllte Gruppenleiste verfügbar werdende Angriffskette darf man alle Attacken der Charaktere hintereinander einsetzen, ohne dass der Gegner eine Chance hat, sich zu wehren. Es sei jedoch weise gewählt, was man damit macht, da es die einzige Möglichkeit ist, Kameraden wiederzubeleben.

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Auch wenn ein Mitglied fällt, heißt das noch lange nicht Game Over

Eine Welt für sich

Ganz gleich wie man sich entscheidet zu kämpfen, die künstliche Intelligenz sieht dabei immer gut aus. Die Partner sterben so gut wie nie aus irgendwelchen Gründen, die Frust auslösen könnten, wie z.B. beim Herunterfallen eines Berges. Die Faktoren der Umwelteinflüsse sollte man im Kampf jedoch berücksichtigen. Nicht selten wird euch die Umgebung in den Kämpfen beeinträchtigen. Auf einer Brücke lässt sich schlecht eine Gegnergruppe umzingeln, in giftigen Sümpfen sollte man nicht nahe dem Ufer kämpfen und in einer Strömung treiben die Charaktere immer in eine bestimmte Richtung, weshalb man in Bewegung bleiben sollte. Durch den großen Bezug zur Spielwelt entsteht die spezielle Atmosphäre einer lebendigen Welt, und nicht bloß irgendeiner Karte mit bedeutungslosen Statisten.
Das Titanen-Szenario ermöglicht das Gefühl, alles erkunden zu können, was im Endeffekt auch möglich ist. Das Erkunden ist in Xenoblade sehr wichtig, denn es gibt viel zu Entdecken. Spezielle Items, die man auf dem Weg findet, welche man nur von speziellen Gegnern bekommt oder durch eine wichtige Nebenaufgabe erteilt von einer geheimnisvollen Person in irgendeinem unbekannten Tempel. Die vielen unterschiedlichen und teils äußerst weitsichtigen Gebiete des Titanen laden immer wieder zum Erforschen ein, vor allem, da jedes Gebiet bestimmte Merkmale hat und keines genauso aussieht wie das andere. Die Atmosphäre in der Welt von Xenoblade ist einfach nur wahnsinnig harmonisch und ruhig, ein guter Kontrast zu den action-geladenen Kämpfen. Die Balance ist stimmig und man hat nie das Gefühl, von dem einen zu viel oder von dem anderen zu wenig zu haben, da man stets selbst entscheiden kann, ob man kämpfen möchte oder nicht.

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Die vielfältige Welt von Xenoblade

So begibt man sich quer durch das große Bionis, um die Geheimnisse der Welt zu erforschen und neue Charaktere zu treffen, die so viel Charme haben, dass man vor Freude heulen könnte. Die gesamte Story wird packend erzählt und auch abseits von Zwischensequenzen gibt es lustige Dialoge zwischen den verschiedenen Charakteren. Die Textausgabe ist in deutscher Sprache verfügbar, die Synchronisation lediglich auf Englisch.
Was auf gar keinen Fall schade ist, dürfte die Tatsache sein, dass Yoko Shimomura den Soundtrack mit komponiert hat. Tatsächlich lassen sich einige Parallelen zum Kingdom-Hearts-Soundtrack heraushören. Besonders das Main Theme ist ruhig und entspannend, was perfekt zu dem minimalistisch aufgebauten Titelbildschirm passt. Auch der restliche Soundtrack ist in Xenoblade Chronicles einfach nur toll umgesetzt und passt perfekt zum jeweiligen Szenario.

Lass uns Freunde sein!

Insgesamt gibt es in dem Spiel sehr viel, was man machen kann, aber nicht muss. Da gibt es z.B. den Wiederaufbau einer zerstörten Kolonie, was eine Art riesige Nebenaufgabe ist. Die Homs auf Bionis leben in den verschiedenen Kolonien, welche sich meistens am unteren Teil des Titanen befinden z.B. an der Wade.
Ganz wichtig im gesamten Spiel ist auch das Harmonie-System. Bei diesem System handelt es sich, wie man es sich eventuell schon vom Namen ableiten kann, um ein System, welches die Harmonie zwischen euren Charakteren und allen (!) anderen Charakteren mit einem eigenen Namen darstellt. Dieses ist in mehrere Bereiche unterteilt und jeder Bereich wird mit einem bis fünf Sternen bewertet, je nachdem wie der eigene Ruf in dem jeweiligen Bereich ist und wie sich die verschiedenen Einwohner dieses Bereiches miteinander verstehen. Auf Stufe 1 sind die meisten Charaktere noch sehr in sich geschlossen und reden wenig miteinander, doch wenn man sich einer Quest mit einem dieser Charaktere annimmt, verändert sich wohlmöglich seine Beziehung zu einem anderen Charakter oder ihr werdet von einem anderen Charakter, dem ihr geholfen habt, wiederum einem weiteren vorgestellt und es schalten sich neue Aufgaben frei. Dadurch ergeben sich unfassbar viele Spielstunden, die man nur damit verbringen kann, sich mit den Bewohnern der Welt zu beschäftigen, bis man den Zeitpunkt erreicht hat, zu dem sich alle Bewohner in einem Bereich komplett verstehen. Diese Nebentätigkeit kann sehr lange dauern.

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Das Harmonie-System

Nicht nur die Harmonie mit den Bewohnern ist wichtig, sondern auch die in der eigenen Gruppe. So hat ein Team, das immer zusammen kämpft, logischerweise eine bessere Harmonie als eine Gruppe, die kaum miteinander interagiert. Dadurch ergeben sich ebenfalls wieder andere Vorteile: Charaktere, die einen guten Harmoniestatus haben, dürfen Techniken und Fähigkeiten ihrer befreundeten Charaktere anwenden und es lassen sich längere Angriffsketten bilden. Da kommt einem natürlich wiederum die Gewissensfrage auf: Was, wenn mal einer der Charaktere aus meiner Standardparty ausfällt? Hier brauch man sich keine Sorgen zu machen, da die Erfahrungspunkte, die man in den Kämpfen bekommt, stets auf die gesamte Gruppe verteilt werden.

Technische Ansichten

Nach den vielen Beurteilungen der Atmosphäre dürfte wohl klar sein, dass sich Xenoblade in diesem Punkt sehr gut schlägt. Doch wie sieht es mit anderen Kriterien aus?
In Sachen Steuerung gibt es zunächst Ernüchterung: Wer das Spiel mit Wii-Fernbedienung und Nunchuk spielt, wird eine paar Probleme mit der Kamera bekommen, vor allem im Kampf. Es wäre dementsprechend von großem Vorteil, sich extra für Xenoblade Chronicles einen Classic Controller zu kaufen. Das Spielgefühl ist dadurch komplett anders.
Die Eingewöhnung in das Kampfsystem funktioniert recht schnell, vor allem da es jede Menge gut übersetzte Tutorials gibt, die einem den Einstieg erleichtern und auch verschiedene Tipps für Neulinge im RPG-Genre bieten. Es ist also für alle gesorgt, egal ob man 10 Stunden am Tag oder nur 20 Minuten am Wochenende spielt.
Wenn man die Story mit ein paar Nebenaufgaben durchspielt, kann man die Haupthandlung in ca. 40 bis 60 Stunden beenden. Falls man wirklich alles erledigen will, kann man locker 100 Stunden und mehr in das Spiel stecken. Keine Sorge, sollte man etwas in seinem ersten Durchgang der Story vergessen haben, gibt es noch ein Neues Spiel+, in welchem man sein Level sowie eine gewisse Anzahl an Ausrüstungsgegenständen aus dem vorherigen Spielstand mitnehmen kann.
Es gibt noch viele andere, zwar nicht wirklich neue, aber nützliche Features im Spiel. Ein Schnellreisesystem, Speichern wo und wann man will, ein übersichtliches Inventar, eine Tauschfunktion, mit der man mit den Charakteren in der Welt verhandeln kann, kaum Ladezeiten, gut gesetzte Checkpoints, von denen man nach dem Tod direkt wieder beginnen kann und vieles mehr.

Fazit

Bei all dem Positiven, was ihr jetzt über Xenoblade Chronicles gelesen habt, darf man sich berechtigt die Frage stellen: „Was macht das Spiel den jetzt nicht gut?“ Die Antwort ist simpel und gleichzeitig bizarr. Es macht alles gut, was es gut machen kann. Vielleicht liegt es aber genau daran, dass Xenoblade Chronicles so gut ist. Es versucht nichts Neues, sondern es baut einfach seine Stärken in alle Richtungen aus und leistet sich dabei keine fatalen Schnitzer. Einzig die fehlende deutsche Synchronisation, die doch etwas groben Texturen bei manchen Nahaufnahmen der Charaktere oder die schwierige Kamerasteuerung bei Fernbedienung und Nunchuk stören – den einen mehr, den anderen weniger. Das sind aber wirklich Luxusprobleme. Ich kann jedem empfehlen, falls er mal wieder ein wirklich tiefgründiges Rollenspiel mit viel Umfang und dabei auf neueste High-End-Grafik verzichten kann, sich Xenoblade Chronicles mit einem Classic Controller zu holen… und das besser früher als später!