„Five! Five war es, nicht wahr!? Sie hat ihre Klamotten hier wieder rumliegen lassen!“
Ich rufe ihr nach, sie solle aufräumen. Auch wenn das hier ein leerstehendes Haus ist, in dem niemand sonst wohnt, können wir es doch nicht einfach nutzen, wie es uns beliebt. Wir leihen es uns ja nur auf unserer Reise. Es muss später genauso hinterlassen werden, wie wir es vorgefunden haben. Es unordentlich zurückzulassen, steht vollkommen außer Frage.
Doch Five zieht ihre Kleidung aus und lässt sie einfach überall liegen, als wäre dies ihr Zimmer, wie auch Lebensmittel… Ich wünschte, sie würde wenigstens ein bisschen ordentlicher werden. Nun gut, wahrscheinlich sind alle jüngeren Geschwister so.
Während ich die Kleidung zusammenlege, verziehe ich das Gesicht. Ein große, aufgeplatzte Naht zieht sich vom Ärmel bis hin zur Körperseite. So ist das also. Es ist in Ordnung, wenn sie dann die Kleidung wechselt, aber das als Grund zu nehmen, die abgelegten Kleider hier zu vergessen?
„Five… …Was für ein Problemkind.“
Ich seufze laut. Ich würde wohl nicht nur alles wieder aufräumen, sondern auch noch das Kaputte nähen. Gut, würde ich die Handarbeit der ungeschickten Five überlassen, hätten wir hinterher nur noch mehr ruinierte Stoffe. Entweder das oder sie würde sich mit der Nadel in den Finger stechen und dann schreiend in Tränen ausbrechen.
Wenn ich mir also überlege, welches Problem es im Nachhinein gäbe, erledige ich das lieber gleich. Diese aufgeplatzte Naht ist kein Ding, das erledige ich in ein paar Minuten.
Als ich das Kleidungsstück ausbreite, um zu sehen, ob es noch mehr Löcher besitzt, bemerke ich die Haare, die über den Boden verteilt liegen.
„Oh, Schwester Three, du also auch… …“
Das ist Schwester Threes schlechte Angewohnheit. Sie setzt sich überall hin und schneidet ihre Haare. Ich weiß, dass sie das tut, weil ihre Haare schneller als gewöhnlich wachsen, doch ich glaube, in Wahrheit macht sie das aus Spaß.
Denn, wenn ich bemerkte, dass mich die Haare störten, würde ich diese einfach bis zu den Schultern kürzen, doch Three schneidet immer viel weniger ab. Sie greift sie sich einfach willkürlich und schnippelt. Wahrscheinlich findet sie es einfach amüsant. Vielleicht könnte man es fast als Hobby bezeichnen? Ein merkwürdiges Hobby, wie ich meine.
Doch da hört es ja noch nicht auf. Schwester Three ist etwas komisch. „Etwas“ trifft es wohl nicht. Ziemlich komisch. Um ehrlich zu sein, sie gehört in die Kategorie der Exzentriker.
Als ich darüber nachdenke, höre ich das Geräusch von schnippelnden Scheren hinter mir. Wenn man vom Teufel spricht.
„Schwester Three, hör auf, deine Haare zu vertei-… …“
Als ich ihr gerade sagen will, sie solle es sein lassen, breche ich mit den Worten ab. Sie schneidet ihre Haare, während sie umher geht. Mit jedem Schnitt fliegen mehr Strähnen in der Gegend herum.
„… …Ist irgendetwas?“
Abgeschnittene Büschel rieseln zu Boden. Sie so zu sehen, lässt mir die Worte im Halse stecken bleiben. Wäre es Five gewesen, hätte ich ihr verärgert gesagt: „Hör auf, einfach alles irgendwo fallen zu lassen!“
„Schwester Three, ich denke es ist besser, wenn du deine Haare nicht im Gehen schneiden würdest.“
„… …Warum?“
„’Warum’… … Scheren sind scharfe Werkzeuge, weißt du? Es ist gefährlich, sollten deine Hände einmal ausrutschen.“
„… …Egal.“
Sie schneidet sich ein weiteres Stück Haare ab, als wolle sie ausdrücken, dass es überhaupt nicht gefährlich sei. Worte sind nutzlos, daher lasse ich meine Schultern hängen. Schwester Three gehört einfach zu diesen Leuten, die man von Anfang an nicht begreift.
„Ok, verstehe, aber bitte mach die Haare, die du abgeschnitten hast, wieder weg. Dies ist nicht unser Haus.“
Was würden die nächsten Bewohner denken, wenn sie einen Fuß hinein setzten und so viele Haare herumlägen. Ich glaube, das wäre ihnen zweifellos nicht geheuer.
„Schau, hier.“
Als ich ihr einen Besen hinhalte, weiß ich bereits, dass es sinnlos ist.
„… …Bin müde.“
Wie zu erwarten, setzt sich Schwester Three hin, lässt sich zu Boden sinken und schläft sogleich ein. Es ist verblüffend, denn sie spielt dies nicht vor, sondern schläft tatsächlich.
Ich kann nicht einmal richtig einschlafen, wenn auch nur mein Kissen ein wenig anders als gewöhnlich ist, doch lass das Kissen anders, das Bett ungewohnt, gar kein Bett vorhanden oder einfach nur der Boden verfügbar sein, Schwester Three schläft ein, sobald ihr Kopf zur Seite fällt. Selbst wenn um sie herum ein großer Geräuschpegel herrscht, es macht keinen Unterschied. Auch wenn ihre Kleidung schmutzig ist, stört es sie nicht. Sie mag vielleicht zart aussehen, besitzt aber ein dickes Nervenkostüm, unglaublich, aber Fakt.
Welch Verschwendung. Obwohl sie das schönste Gesicht von uns Schwestern hat. Sie mag wie ein süßes, hübsches Mädchen aussehen, aber sie ist ein unverschämter, grober Sonderling. Doch selbst wenn ich das Leuten erzähle, die sie nicht kennen, glauben sie mir nicht.
Wo ich gerade von Verschwendung spreche, Schwester Threes Haare sind ebenfalls eine. Sie sind so glatt und glänzend und fühlen sich so seidig an. Doch sie schneidet es so unansehnlich.
Hätte ich solche Haare, würde ich sie vernünftig schneiden und hochstecken. Das betrifft nicht nur die Haare. Wäre ich so hübsch wie sie, würde ich nicht komisch dasitzen oder umfallend einschlafen. Ich würde darauf achten, wie ich spreche und mich gebe. Ich könnte mir gar nicht vorstellen, nicht auf so etwas zu achten, wenn ich so hübsch geboren wäre.
Schwester Three verschwendet diese Pracht, mit der sie geboren wurde. Sie ist nicht einmal dumm, nur hat sie keine Lust, ihren Kopf zu benutzen.
Möglicherweise sind Exzentriker so. Sie denken sicherlich nicht einmal darüber nach, ordentlich zu leben, sich normal zu verlieben und so wie jeder andere auch glücklich zu sein.
Nachdem ich Schwester Three zugedeckt habe, sodass sie sich nicht erkälten kann, beseitige ich die auf dem Boden verteilten Haare. Anschließend nähe ich Fives Kleidung. Es fühlt sich an, als würde ich allein die ganze Arbeit erledigen.
Wahrscheinlich sollte ich es bei Schwester Three aufgeben, weil sie so ein Sonderling ist, aber ich sollte etwas wegen Five ändern. Es ist nicht gut, wenn sie so verwöhnt wird und selbstsüchtig ist, nur weil sie die Jüngste ist. Ich sollte sie heute auf jeden Fall einmal darauf ansprechen.
Trotzdem, es ist so unfair. Bevor Five geboren wurde, bin ich „die Kleine“ gewesen, doch ich erinnere mich gar nicht mehr daran. Soweit ich zurückdenken kann, war sie immer da und ich war nur „die Zweitjüngste“, die „größere Schwester Four“.
Erwachsene sagen mir immer „Habe ein wenig Geduld, du bist immerhin die größere Schwester“, aber ich kann das nicht akzeptieren. Denn ich war nie so selbstsüchtig oder bereitete irgendwem Sorgen, so wie Five es tut.
Doch ich glaube, mein Charakter ist dafür nicht gemacht. Meine Vernunft und mein Verstand würden verhindern, dass ich wie Five tun würde, was mir gefällt. Ich würde darüber nachdenken, ob ich jemandem eine Bürde oder Belästigung bin.
Noch dazu…
„Schwester Four? Hast du nach mir gerufen?“
Hört euch das an. Genau das, was ich meine. Wie kann man im Kern nur so dreist sein. Jemand anderen seine Drecksarbeit erledigen lassen und genau dann wieder in Erscheinung treten, wenn alles gerade erledigt ist, so was Unverschämtes würde mir im Leben nicht einfallen.
„Das geht so nicht, überall deine Klamotten liegen zu lassen! Wie oft muss ich dir das noch sagen? Noch dazu diese große aufgeplatzte Naht!“
„Oh, aber die gehören überhaupt nicht mir.“
„Hör auf, nach Entschuldigungen zu suchen. Dieses Mal habe ich sie geflickt, aber das nächste Mal machst du das alleine.“
„Aber die gehören wirklich nicht mir.“
Sie schiebt die Schuld also jemand anderem zu. Die Einzige, die so schlampig sein würde, ist Five.
„Foury, ‘tschuldige, das sind meine.“
Meine große Schwester Two taucht auf, kratzt sich am Kopf und kichert wie ein kleiner Junge. Obwohl sie zeitweise flucht und ein grobes Benehmen an den Tag legt, verwundert es mich, wie sie es schafft, dabei so süß aussehen. Ich würde wirklich wie ein Junge aussehen, würde ich mich so verhalten, und würde ich mich wie Five verhalten, würde es so aussehen, als hätte ich ein paar Schrauben locker. Ich werde nie ganz verstehen, dass meine große Schwester Two die Einzige ist, die so liebreizend erscheint.
Na gut, lassen wir das.
„Aber, Two, sind das nicht Fives Klamotten?“
Unsere Namen stehen zwar nicht auf unseren Anziehsachen geschrieben, doch ich erinnere mich daran, wer was besitzt. Nachdem ich so viele Sachen aufgesammelt und Kleidungsstücke genäht habe, die nicht meine sind, kann ich auf den ersten Blick sagen, wem was gehört.
Es ist offensichtlich, dass diese Kleidung Five gehört. Das Problem ist nur, dass ich nicht glaube, meine Schwester Two würde eine Lüge erzählen… …
„Jap, ursprünglich waren das Fiveys Klamotten.“
Ah, verstehe, so ist das also. Natürlich lügt sie nicht. „Ursprünglich“ bedeutet, dass es Klamotten sind, die Five ihr gegeben hat. Ich muss nicht mehr hören. Hab‘s verstanden. Ausschweifende Erklärungen sind nicht weiter nötig!
Obwohl… …
„Ich kann sie leider nicht mehr tragen, seit sie oben herum zu eng geworden sind.“
Die Art und Weise, wie Five ihren Busen hervorstreckt, nervt mich ab. Damit zu prahlen, wie groß ihre Brüste sind und das obwohl sie noch ein Kind ist. Es gibt auch eine Grenze, was Vulgärsein betrifft, klar? Sie sollte zumindest ansatzweise beschämt sein. Aber sagt man nicht, dass vollbusige Frauen dumm seien?
„Weil Fivey sagte, sie brauch‘ sie nicht mehr, hab‘ ich sie erhalten.“, erklärte Two mit einem Lächeln, das anzügliche Benehmen ihrer jüngsten Schwester völlig ignorierend. Es wäre schön, wenn sie Five auch etwas zurechtweisen würde. Ich denke, das ist eine der Pflichten, die das Dasein einer älteren Schwester mit sich bringt.
„Also probierte ich sie gleich mal und hab‘ dabei wohl ein wenig zu viel Kraft aufgewendet. Es machte… …Ratsch.“
„Die Nähte gingen auseinander.“
„Jep, genau. Richtige Antwort, Foury!“
Schwester Twos Muskelkraft ist überdurchschnittlich stark, weshalb sie oftmals versehentlich Dinge zerstört oder Löcher in Wänden hinterlässt und anschließend blass geworden „Was mach‘ ich bloß?“ vor sich hin brabbelt. Die Freundlichste von uns Schwestern ist gleichzeitig die Zerstörerischste. Noch dazu sieht sie so mädchenhaft aus. Was für eine Ironie.
„Die Kleidung gleich zu zerreißen, nachdem ich sie grad bekommen habe, kaum zu glauben, nicht? Daher überlegte ich, was könnte ich dagegen tun, und ging, um Nadel und Faden zu holen… …“
„Hier, Two, bitte schön.“
Ich überreiche ihr die frisch genähte Kleidung. Meine große Schwester Two ist im Gegensatz zu Five jemand, der Dinge auch einmal selbst erledigt, doch sie ist etwas ungeschickt. Sie ist ziemlich gewandt im Umgang mit ihren Händen, doch sie weiß nicht wie man Anleitungen folgt. Daher mache ich es im Endeffekt für sie. Da sie die Verantwortung dafür nicht einfach so abschiebt, stört es mich jedoch nicht.
„Eh? Wirklich? Nich‘ dein ernst! Du hast das schon gemacht, Foury!? Waaahnsinn! Und sooo schnell! Toooll!“
Niemals würden falsches Lob oder nicht ernstgemeinte Komplimente über Schwester Twos Lippen kommen. Das war Anerkennung, die tief aus ihrem Herzen kam. Ja, sie hat wirklich ein gutes, aufrichtiges Herz. Sie ist intelligent, ehrlich, sanft und fürsorglich.
Es ist nur so, dass sie ein wenig zu aufrichtig ist, weshalb ich mir als jüngere Schwester Sorgen mache. Ehrlichkeit und Sanftheit, wenn man diese Eigenschaften in einem anderen Licht betrachtet, bedeuten sie auch, dass man leicht beeinflussbar und einfach zu benutzen ist, nicht wahr?
Es gibt schließlich Gesindel, das sich einem nicht nur mit guten sondern auch mit schlechten Absichten nähert. Wenn sie so unbeholfen und leichtsinnig wirkt, sieht es so aus, als sei sie ein leichtes Ziel, und ehrlich, ich glaube, das ist sie sogar.
Doch bei Schwester Two ist es so, dass selbst wenn sie einmal eine schmerzliche Erfahrung gemacht hat, sie wahrscheinlich denken würde „Das nächste Mal wird es sicher besser“. Sie würde so etwas sagen wie „Der Nächste wird der Mann meiner Bestimmung sein“ und weiterhin benutzt und weggeworfen werden. Eine weitere Sache, die mir Sorgen bereitet.
Ich meine, mit einer solchen Lieblichkeit geboren worden zu sein, ist es da nicht schrecklich, dass nichtsnutzige Typen ihr Leben verschwenden? Es ist nicht weniger als eine Tragödie, dass sie mit so einem guten Aussehen gesegnet wurde, aber an so vielen Dingen scheitert. Wenn ich darüber nachdenke, dass all das passieren könnte, kann ich nicht anders als mich zu sorgen. Ja, ich bin wirklich besorgt, wisst ihr?
„Foury, ich liebe dich! Ich werde sie gleich anprobieren.“
Kichernd zieht sie sich um und sagt „Yaaay, es passt perfeeekt!“ und dreht sich im Kreis. Es ist fast so, als sei sie die jüngere Schwester und ich die ältere.
„Hey, hey, sehen sie gut an mir aus? Stehen sie mir?“
Als sowohl Five als auch ich zögerlich nicken, erscheint in Schwester Twos Gesicht ein breites Lächeln und sie wendet sich ab.
„Ich werde sie Schwesterchen One zeigen!“
Sie läuft hinaus und vergisst, die Tür hinter sich zu schließen, wie ein Kind. Was sage ich, sie ist ja auch ein Kind. Es gibt Vieles, was wir auf unserer Reise bewerkstelligen, wie Monster und Bösewichte bezwingen, die unschuldigen Menschen Schlechtes antun, und es scheint, als vergessen wird von Zeit zu Zeit, dass wir alle noch Kinder sind. Es mag aber auch an der kleinsten Schwester liegen, die stolz auf ihre großen Brüste ist und ein ausschließlich vulgäres Mundwerk besitzt.
„Hey, Four, mein großes Schwesterchen.“
Eben diese unanständige Schwester näherte sich mir von hinten. Ich habe eine böse Vorahnung.
„Ich habe nicht gelogen, nicht wahr?“
„Ja. Scheint ein Irrtum gewesen zu sein.“
„Gerade du behandelst mich immer wie eine Verbrecherin. Wie grausam. Ich bin ernsthaft verletzt.“
Five presst sich an meinen Rücken, ihr Tonfall klingt nicht ansatzweise verletzt.
„… …Ich glaube, ich lag falsch.“
„Das ist alles? Wie sieht es mit einer Entschuldigung aus?“
„… …Entschuldigung.“
„Hmmm? Ich kann dich nicht hören.“
„ES TUT MIR LEID!“
Was soll das, nur weil sie mich zum Schweigen gebracht hat, weil sie wohl doch nicht so verantwortungslos ist, führt sie sich so selbstgefällig auf. Das kotzt mich an!
„Kannst du bitte Abstand nehmen? Deine Brust drückt in meinen Rücken.“
Und dann diese gigantischen Dinger. Diese extreeemen Brüste kotzen mich auch an!
„Hnnn. Dir reicht es nicht, dass sie dich nur berühren? Möchtest du sie direkt anfassen? Schwesterchen Four, du kannst solche Dinge mit deiner flachen Brust nicht tun, richtig? Sie auf diese Art und Weise zusammen drücken.“
„Es tut mir ja so leid, dass meine flach ist! Wer möchte die überhaupt anfassen! Es ist drückend heiß, deshalb möchte ich, dass du weggehst! Und hör auf, ‚Hnnn‘ zu sagen! Obwohl du nur ein kleines Gör bist, klingst du anstößig wie eine Hure! Alle Nährstoffe scheinen direkt in deine Brüste zu wandern, deshalb bist du auch so dumm wie eine Kuh! Dämlich! DÄÄÄÄMLICH, DÄÄÄÄMLICH, DÄÄÄÄMLICH!“
„Kyaaa! Ich bekomm’ Angst, Schwesterchen Four.“
„Sei still, Kuh-Frau! Geh Gras fressen!“
Alles, was mir an diesem Ort zwischen die Finger kommt, werfe ich nach ihr. Die Art und Weise, wie sie sich windet, ‚Neiiin‘ schreit und den fliegenden Sachen ausweicht, das kotzt mich nur noch mehr an.
Ich hasse sie! Ich hasse dies! Ich hasse jeden! Ich hasse alles!
Anders als meine großen Schwestern bin ich nicht süß wie Two oder hübsch wie Three, und ich bin flachbrüstig, nicht so wie Five!
Ich hasse es! Ich hasse mein Gesicht! Ich hasse meinen Körper! Ich bin nicht süß oder hübsch, ich habe nur ein gewöhnliches Gesicht. Meine Arme und Beine sind schlaksig und dürr, meine Haare sehen so unvollendet zurechtgemacht aus.
Doch was ich auf den Tod verabscheue, sind meine ekelhaften Nägel. Wenn ich sie in Ruhe lasse, wachsen sie unheimlich schnell. Dann krümmen sie sich, brechen ab und bleiben überall hängen. Ich brauche solche Nägel nicht. Ich würde sie am liebsten ausreißen und wegwerfen. Ich brauche diese Arme, diese Beine, dieses Gesicht, dies alles überhaupt nicht!
Ich brauche… …mich nicht.
Mich? Ich brauche mich nicht? Nein! Nicht ich bin es, die ich nicht brauche!
Du bist es! Du nutzloses, obszönes Weib! Fühle dich NUR NICHT zu toll mit deinen rumhängenden, riesigen Fleischballons! Du bist nutzloser als ein Haufen SCHEISSE! Ich brauche dich NICHT! Stirb!
Genauso wie du, du ach-so-niedliches Megamuskelweib! Und auch du, verrückte Scherenfrau, stirb! Nur weil du ein Gesicht besitzt, das ein bisschen hübsch ist, brauchst du darauf GAR NICHT stolz zu sein! Was glaubst du, wer du bist, mit deiner zarten Gesichtshaut? Wie wäre es, wenn ich dir diese schöne, hübsche Haut runter risse? Ich würde sie geräuschvoll runter reißen, in viele kleine Teile zerfetzen und zu Brei zerstampfen.
Ahahahaha! Ah, welch ein Spaß. Ah, welch ein Spaß. Ah, welch ein Spaß… …
Als ich wieder zur Besinnung komme, ist der Raum ein totales Chaos. Trotz dessen schläft Schwester Three noch immer. Ziemlich beeindruckend, dass es ihr möglich ist, trotz des Lärms zu schlafen. Und das obwohl sie ein Sonderling ist.
Five scheint schon vor Ewigkeiten entwischt zu sein. Dieses Gör ist im Grunde ein nettes Kind. Und das obwohl sie so dumm ist.
„Aaah, scheint, als sei ich der Idiot.“
Ich sollte hier schleunigst aufräumen. Wenn man Unordnung macht, sollte man diese auch selbst wieder beseitigen. Das ist doch offensichtlich. Doch sowohl meine größeren Schwestern als auch meine Kleine erkennen das Offensichtliche wohl nicht. Wahrhaft lächerlich, wie ich finde.
Ich stelle die umgeworfenen Stühle und den Tisch wieder richtig hin, sammle den Wasserkrug auf und wische den Fußboden. Sogar mit Tellern habe ich geworfen. Die Essensreste, die Five auf einem von ihnen darauf zurückgelassen hat, liegen nun verteilt zwischen den Scherben.
„Warum ich… …“
Ich seufze nur. Obwohl Five die Teller nicht weggeräumt hat, bin ich doch diejenige, die sie zerbrach, also ist es nicht zu ändern.
Von jetzt an werde ich meine Gefühlsausbrüche mehr zurückhalten. Selbst wenn ich angekotzt bin, werde ich Geduld beweisen. Denn egal was ich auch sage oder tue, ich werde diejenige sein, die den Kürzeren zieht.
Nachdem ich alles aufgeräumt habe, setze ich mich auf einen Stuhl. Ich bin erschöpft. Zwar nicht so wie meine Schwester Three, aber doch wirklich erschöpft.
„Ist hier jemand?“
Ich hebe meinen Kopf vom Tisch, auf den ich ihn abgelegt habe. Meine große Schwester One ist herein gekommen.
„Schwester One, was gibt es?“
„Oh, das freut mich. Four, komm und hilf mir.“
„Soll ich auch Schwester Three aufwecken?“
Zu Three hinüber schauend, die auf dem Fußboden schläft, schüttelt meine große Schwester den Kopf.
„Lass sie. Solange du da bist, Four, genügt mir das.“
Solange du da bist, Four. Ich wiederhole die Worte in meinem Innern. Ich bin glücklich. Schwester One würdigt mich… …
Von allen Schwestern ist sie die Klügste, Weiseste und am meisten Verlässliche. Sie ist eine Person mit starkem Gerechtigkeitsinn und Pflichtbewusstsein. Nicht süß oder hübsch wie meine größeren Schwestern Two und Three, doch ihr Ausdruck und ihr Verhalten wirken einfach so intelligent.
Deshalb denke ich, sollte ich Schwester One zum Vorbild nehmen. Ich kann meine Gesichtszüge nicht ändern, doch ich kann immerhin meinen Intellekt steigern.
Außerdem ist sie auch flachbrüstig. Zumindest momentan.
„Schwester One, wobei benötigst du Hilfe?“, frage ich sie, während ich von hinten auf sie zuschreite.
„Bei der Reparatur eines Karrens. Ich habe ihn von einem nahegelegenen Bauernhof erhalten.“
„Reparatur? Karren? Wofür werden wir den benutzen?“
„Für das Gepäck auf dem Weg zu unserem nächsten Zielort.“
Ich kann die Entschlossenheit in ihrem Gesicht erkennen, als ich sie von der Seite ansehe. Das ist ihr Gesichtsausdruck kurz vor einer Schlacht. Nicht für uns selbst. Eine Schlacht für all die leidenden Leute. Denn Schwester One ist jemand, der Ungerechtigkeiten nicht verzeiht.
Doch gelegentlich denke ich daran, dass ich Mitleid empfinde. Wenn ich sie so all die Pflichten und Verantwortung schultern sehe.
Immerhin ist sie nicht einmal die Älteste. Sie ist nur aufgrund von unerwarteten Vorkommnissen in der derzeitigen Position. In Wahrheit sollte auch sie jemandes „kleine Schwester“ sein. Jemand bestimmtes sollte die Verantwortung der ältesten Schwester übernehmen und uns in den Kampf führen, und dieser jemand ist nicht Schwester One… …
„Ähm… Hör mal, ich werde dir mit all meiner Kraft helfen, Schwester One. Laste dir nicht alles allein auf.“
Sie erscheint ein wenig überrascht, doch ihre Augen sind sanft und sie antwortet: „Danke.“
Schwester Two ist unzuverlässig, Schwester Three ein Sonderling und Five eine Egoistin. Daher muss ich die Kraft meiner großen Schwester One sein. Denn obwohl sie die Verlässlichste von uns ist, wiegt ihre Aufgabe sicher schwer, da sie eigentlich nicht die Älteste ist.
Aber das ist in Ordnung, weil ich dir helfe. Dafür sich Schwestern da. Nun, zumindest ich als deine kleine Schwester. Richtig, im Gegensatz zu anderen Leuten. Nicht wahr, Schwester One… …?
„Hm?“
Als ich zu mir komme, ist Schwester One verschwunden. Ebenso wie der Wagen, der repariert werden sollte, und das leerstehende Haus, in welchem wir wohnten. Ich liege in meinem Bett.
„Oh, es war nur ein Traum… …“
Natürlich war es das. Wir sind nicht länger Kinder und wir reisen auch nicht mehr. Alles hat sich verändert. Ich wünschte, wir würden wieder zu Fünft auf Reisen gehen… …
Wenn ich es mir aussuchen könnte, wünschte ich, ich hätte einen viel älteren Traum gesehen. Eine von vor lang entfernter Zeit, als ich zu meiner großen Schwester Zero aufsah, die stärker und hübscher als jede andere war, und die ich so sehr liebte, und so sein wollte wie sie. Ein Traum von damals.
Nein. Auch jetzt liebe ich sie noch immer. Weil wir Schwestern sind. Familie. Ich glaube daran, dass eines Tages die freundliche Zero von einst zu uns zurückkommen wird und wir dann alle wieder zusammen leben. Wir werden ganz sicher wieder glücklich sein.
Selbst wenn alle anderen, außer mir, nicht mehr da wären.