Vielen Dank an Neo Amon für die folgende Rezension!
(Vom 30.03.2011) Ihr habt ein Faible für Kulleraugen? Zuckersüßem Japano-Humor? Mögt erdachte Fantasy-Welten und knuffige Monster? Dann… ist dieses Spiel vielleicht nichts für euch. Solltet ihr aber auf skurrile Charaktere, einen reiferen Humor, einer spannend und düster inszenierten Story und generell auf gute Rollenspielkost stehen, dann unbedingt weiterlesen.
Dies ist meine Geschichte
Man wird zu Beginn mit einem Zeitungsausschnitt konfrontiert, in dem steht, das 1913 in Rouen, Frankreich, ein englischer Priester auf brutalster Weise ermordet wurde. Schnell ist klar, diese Tat, kann kein Mensch vollbracht haben. Zur „Sicherheit“ der Tochter des Priesters wird Alice Elliot von der japanischen Armee nach China eskortiert. Das Spiel beginnt in einem Zug von Japan besetzten Zug, inmitten einer sternenklaren Nacht. Außer Alice befinden sich noch japanische Soldaten in dem Zug sowie zwei Männer, die im späteren Verlauf noch relevanter werden. Ich schreibe den Prolog einfach mal aus der Sicht Alices:
„Puh… ist das langweilig. Es ist Nacht und ich sitze hier in dieser chinesischen Pampa, nicht wissend, was mich erwartet. Diese japanischen Soldaten haben mich hierhin verschleppt, meinten, es wäre zu meinem „Schutz“, obwohl ich ihnen klar gemacht habe, dass ich auf der Suche nach dem Mörder meines Vaters bin. Aber sie haben nicht mit sich reden lassen. Naja, ich bin wohl bloß ein Druckmittel…“
Ein lauter Knall, gefolgt von markerschütternden Schreien.
„Was waren das für Schreie!?“
Alice öffnet die Waggontür, vor ihren Füßen breitet sich eine Blutlache aus.
„Ich blicke nach oben, der japanische Hauptmann ist entsetzt und schockiert zugleich. Vor ihm steht ein elegant gekleideter älterer Gentleman, der ein freundliches Lächeln an den Tag legt. Man würde so einer Person, nie solch einer grauenvollen Tat zutrauen.“
Der Hauptmann verschießt in seiner misslichen Lage, seine gesamte Munition.
„Zwecklos. Der Mann wird von irgendetwas beschützt. Zu schnell für das menschliche Auge.“
Der Hauptmann wird Opfer des schnellen „Wesens“.
„Er kommt immer näher, begrüßt mich freundlich, stellt sich vor. Roger Bacon? Den Name habe ich noch nie zuvor gehört. Er sagt, er sei auf der Suche nach mir, aber warum ich? Wenn er doch nur dieses verdammte Grinsen sein lassen würde.“
Ein junger Kerl erscheint. Er trägt einen langen braunen Mantel, eine schwarze Hose und hat zerzaustes Haar.
„Noch einer? Wie sieht der denn aus? Scheint, als sei er gerade aufgestanden. Dazu hat er noch ein überhebliches Lächeln im Gesicht. Ist er etwa sein Komplize? Nein, denn dieses schnelle „Etwas“, ich nehme an, dass es ein Dämon ist, macht sich zum Angriff bereit.“
Obwohl der Dämon sehr schnell ist, gelingt es dem jungen, den Kopf des Monsters zu greifen.
„Tatsächlich, es ist ein kleiner Dämon mit einer Sense in der Hand!“
Länger kann Alice sich den Dämonen nicht ansehen, da der Junge nicht lange fackelte und den Kopf des Dämons zerquetscht.
„Der Dämon ist nicht mehr, aber… Oh Schreck, der Junge hat kein Arm mehr! Dennoch hat er sein Grinsen nicht verloren.“
Der Junge Kerl hebt seinen Arm auf und setzt ihn sich wieder ran.
„Das kann kein Mensch sein!“
Der Junge rennt auf Roger Bacon zu, der wiederum lächelt nur und beschwört einen grellen Blitz hinauf. Ein großer Knall, gefolgt von einem klaffenden Loch.
„Ich kann nichts sehen… Doch! Der Rauch verschwindet langsam, aber der Junge ist fort. Wahrscheinlich hat es ihn erwischt.“
Roger Bacon läuft auf Alice zu.
„Ich muss versuchen zu fliehen, doch er hält mich fest, setzt mich unter einen Zauber. Meine Augen werden schwerer, mein Herz schlägt langsamer… War es das?“
Nein, das war es noch nicht, soviel darf ich schon vorwegnehmen. Auch nicht für Yuri, der junge Mann, er ist ja ein Harmonixer. Wie, ein Harmonixer? Kann man das essen? Wer oder was ist das? Später dazu mehr.
Stelle dich deinem inneren Dämon
Aber warum sollte sich Yuri in Gefahr begeben, um eine ihm fremde Person zu retten? Ist es etwa ein übersprudelnder Gerechtigkeitssinn? Ganz sicher nicht! Im Grunde ist es eine Stimme, die ihn durch pochende Kopfschmerzen quasi dazu zwingt, das Richtige zu tun. Denn Yuri ist gar nicht der Typ, der die Prinzessin aus dem Schloss befreit.
Hört sich im ersten Moment etwas plump an, und das ist es auch. Es wird zwar im späteren Verlauf plausibler und logischer erklärt, aber wenn man den „inoffiziellen“ Vorgänger für die PSOne nicht gespielt hat, kann es schon etwas verwirrend sein. Die restliche Geschichte lässt sich davon aber nicht abschrecken. Denn die ist in allen Maßen stimmig und spannend. Gegen Ende leider auch etwas kitschig.
Ich verrate so viel: Kurz darauf wird Alice von Yuri gerettet und sie kommen mehr oder minder gut miteinander aus. Mit der Zeit verbessert sich deren Beziehung aber tendenziell und sie lernen im Verlauf der Geschichte neue Mitstreiter kennen, Yuri muss sich seiner Vergangenheit stellen und es erwarten sie einen eventueller herber Rückschlag. Warum eventuell? Nun ja, es ist davon abhängig, welches Ende erreicht wird. Um genauer zu sein, gibt es zwei Enden. Ein Gutes sowie ein Schlechtes.
In 60 Stunden um die Welt
Shadow Hearts spielt in Asien, speziell in China und in Europa. Es ist am Anfang des 20. Jahrhundert angesiedelt und es werden im Verlauf der Geschichte bekannte Orte wie Shanghai, London oder Wales erkundet. Die wiederum sind allerdings sehr frei gestaltet. Wer also schon einmal an diesen Orten war, sollte sich nicht wundern, wenn er keine Schauplätze wiedererkennt. Und obwohl die Geschichte fiktiv ist, schleichen sich nur zu gerne wahre Begebenheiten und Personen ein. Die Bewegungsfreiheit mag Anfangs limitiert sein, da es keine Weltkarte gibt und auch die Städte nicht komplett frei begehbar sind. Allerdings wird dieser Umstand durch zahlreiche Nebenmissionen und die Liebe zum Detail wettgemacht.
Meine persönlichen Highlights zum einen das Gegner-Design, sehr bizarr ausfällt. Einige Viecher könnten auch so aus einem Silent Hill Spiel stammen. Zum anderen die Atmosphäre an sich. Das gesamte Setting ist auf Horror ausgelegt, kann aber auch Spaß verstehen und nimmt sich nicht immer allzu ernst.
Die Musik trägt natürlich auch ihren Teil dazu bei. Komponist Yasunori Mitsuda, (Chrono Trigger, Xenogears) weiß, wie man das Flair der beiden Kontinente wundervoll einfängt. Mir gefällt besonders die Musik im Asienpart. Man denkt wirklich, es wäre Samstagmorgen, man wandert über den Marktplatz von Shanghai, um dort genüsslich eine Portion Hundegulasch zu verschlingen.
Ein Ring sie zu knechten
Der eigentliche Star des Spiels ist aber der sogenannte „Urteilsring“. Der Urteilsring wird primär im Kampf benutzt, aber auch bei Minispielen und Ähnlichem. Im Kampf wird der Ring bei fast jeder Aktion verwendet. Wird z.B. ein normaler Angriff gestartet, erscheint der Ring. Er ist in drei farbig markierten Zonen eingeteilt. Die Platzierung der Zonen variiert von Charakter zu Charakter. Diese Markierungen stellen die Trefferzonen da. Am Anfang eines Angriffes erscheint immer eine Linie, die sich pro Zug einmal im Uhrzeigersinn bewegt. Sobald die Linie über der Trefferzone liegt, gilt es, die X-Taste zu drücken, damit der Angriff getilgt wird. Trifft man nicht, wird der Angriff nicht gezählt oder gar die Runde beendet.
Neben den breiten Trefferzonen gibt es noch die schmalen, roten Angriffsfelder. Diese sind schwerer zu treffen, richten allerdings auch mehr Schaden an. Sie sind der schmale Grat zwischen Freude und Frustration. Der Indikator dafür, ob man in der nächsten Sekunde einen Freudensprung macht oder den Controller an der Wand zerschellt — simpel, aber genial.
Zeit für ein Duell
Der Rest läuft recht Stereotypisch ab. Es gibt Zufallskämpfe sowie HP (Lebenspunkte), MP (Magiepunkte) und ZP (Zustandspunkte). ZP, wofür braucht man die?
Je länger ein Kampf dauert, desto anstrengender wird er natürlich. Jede Runde zerrt am Nervenkostüm der Figuren. Die Zustandspunkte versinnbildlichen, wie lange die Charaktere einen Kampf noch aushalten, bevor sie völlig am Rad drehen. Die ZP sinken pro Runde. Wie viel ZP ein Partymitglied hat, hängt vom Charakter ab. Sobald sie auf null gehen, fällt der Kämpfer in einen Raserei ähnlichen Zustand, in dem er weder Feind noch Freund kennt und alles zusammenprügelt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Allerdings ist es kein Zeitlimit oder ähnliches, da es diverse Items gibt, die die ZP auffrischen, sondern mehr eine taktische Komponente.
Im Kampf unterscheiden sich die Charaktere leider nur marginal. Es haben zwar alle ihre feinen, kleinen Spezialattacken, aber nur Yuri mit seiner Fusionsfähigkeit fällt da wirklich aus der Reihe.
Doppelt hält besser
Yuri ist ein Harmonixer, eine extrem seltene Form des „Menschen“, denen es möglich ist, sich mit den Seelen getöteter Dämon zu vereinen, um sie ihrer Kraft zu berauben. Für jeden besiegten Gegner, gibt es spezielle Fusionspunkte, die jeweils einem bestimmten Element untergeordnet sind. Welches Element hängt vom besiegten Gegnertyp ab. Im Spiel gibt es insgesamt 6 Elemente. Licht, Dunkelheit, Feuer, Wasser, Erde sowie Wind. Jedes Element hat drei Fusionen. Es gibt also 18 Fusionen (+2 Optionale).
Kleines Detail am Rande: Da die Seelen keine Verbündeten sind, sondern Yuri schaden wollen, windet er sich deshalb auch während der Fusionsanimation vor Schmerzen (das hat aber keine Auswirkungen auf dem Kampf).
Protokollierung und Gruftgeschichten
Das wichtigste Utensil eines Abenteurers ist nicht das Schwert oder der Feuerball, sondern das Menü. Hier verwaltet der „Held“ sein Inventar, tauscht die Kampfpartner aus oder speichert. Erwähnenswert ist hier die Bibliothek, in der jedes Staubkorn verzeichnet ist, dem ihr auf eurer Reise begegnet. Perfekt zum Schmökern, da sich für jedes Monster eigens auch eine kleine Geschichte erdacht wurde.
Im Menü befindet sich auch der Status des Malices. Das Malice ist ein Familienerbstück Yuris und versinnbildlicht den Zorn der Dämonen, die während der Reise vernichtet worden sind. Wenn Yuri ein Monster besiegt, erhält er die Möglichkeit, seine Kraft und Fähigkeiten zu verbessern, aber er erhält auch böse Energie, dargestellt durch die Farbänderung des Malices. Sobald die Farbe von einem saftigen Blau zu einem alarmierenden Rot überschreitet, heißt es höchste Eisenbahn. Denn ansonsten erscheint das Wesen, was Yuri am meisten fürchtet und was mit einem Bildschirmtod gleichzusetzen ist. Um das zu verhindern, gilt es in regelmäßigen Abständen den Friedhof zu besuchen, den man über Speicherpunkte erreicht, um sich dort per Kampf abzureagieren.
Die Kehrseite der Medaille
Zwar kam Shadow Hearts am 29.03.2002 recht früh für die damals noch junge PlayStation 2 raus, allerdings sah es da schon nicht wirklich gut aus. Der Grund ist, dass das Spiel anfangs für die PlayStation 1 entwickelt wurde und das merkt man leider auch. Es gibt vorgerenderte Hintergründe — für die einen das Krasseste seit der Erfindung des Knäckebrots und für die anderen einfach nur ein Relikt vergangener Zeit — die Grafik wirkt sehr altbacken und ein Effektfeuerwerk darf man auch nicht erwarten.
Das Spiel besitzt eine englische Sprachausgabe mit deutschen Texten. Die deutsche Übersetzung ist ein Graus, allerdings hat auch die englische Fassung keinen Keks verdient.
Kurzes „Bla“ am Ende
Shadow Hearts ist definitiv kein perfektes Spiel. Dennoch hat es mich fasziniert, wie kein Spiel davor. Der Mix aus Horror und skurrilem Humor sucht im RPG-Bereich seinesgleichen. Auch für diejenigen interessant, die meinen, schon alles in Rollenspielen gesehen zu haben und auch etwas Jenseits des Mainstreams sehen wollen.
Die Serie ist wahrlich einzigartig und hat zu Recht zwei Nachfolger rausgebracht. Shadow Hearts: Covenant, der die Geschichte des ersten Teils nach dem schlechten Ende weiterführt und auch spielerisch alles besser macht. Und Shadow Hearts: From the New World, der sich zwar vom Gruselflair verabschiedet, aber dennoch seine Berechtigung hat.
Ich hoffe ich konnte ein paar anfixen, dem Spiel eine Chance zu geben. Obwohl es heutzutage nicht gerade leicht zu besorgen ist, hat Shadow Hearts es allemal verdient.