ShinRas Geschichte: Kapitel 2

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Rufus ShinRa konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken, als er, dem Angriff der Waffe entronnen, in die Dunkelheit flüchtete.

Weapon war ein Monster, das im Inneren des Planeten ruhte. Sein Angriff hatte das Büro des Präsidenten nur knapp verfehlt, doch die Wucht des Einschlags hatte Rufus zu Boden geschleudert. Die anschließende Explosion erschütterte das ShinRa-Gebäude. Teile der Dachkonstruktion lösten sich dabei und zerschmetterten den Fußboden, wo er gerade noch gelegen hatte. Blitzschnell rollte er seinen Körper unter einen Schreibtisch, der eine relative Sicherheit vor herunterstürzenden Trümmerteilen versprach. Als er Weapons Feuer frontal auf sich zurasen gesehen hatte, wußte er, er würde sterben. Indes, als der Druck ihn zu Boden gehen ließ, flammte Zorn in ihm auf. Zorn auf sich selbst, daß er sich so einfach mit dem Tod abgefunden hatte. Er wollte Leben! Weapon konnte jederzeit eine zweite Salve abfeuern. Er mußte hier schnellstens raus!

Hektisch suchte er nach einem Ausweg, als sein Blick auf einen Schalter mit dem aufgedruckten Buchstaben „L“ fiel.

Der Schalter befand sich unter der Schreibtischplatte, von oben nicht sichtbar. Er ist wohl für einen Notfall gedacht, wenn er hier platziert ist. Vielleicht rettet er mich aus dieser Situation. Ohne Zögern drückte er den Schalter. Der Boden unter ihm verschwand, und er fiel einen Meter in die Tiefe. Unten fand er sich auf einem abschüssigen Untergrund wieder, den er nun unkontrolliert herunterrutschte. Es läuft darauf hinaus, daß ich sterbe. Und nicht nur das: es scheint, als befände ich mich in einem Luftkanal, der einmal rund um das Gebäude führt. Lächerlich. Was werden sie wohl denken, wenn sie meine Leiche geborgen haben? Mitten in dem Kampf, der über das Fortleben des Planeten entscheiden wird, stirbt der Präsident des ach so mächtigen ShinRa-Konzerns, der als einziger die Feinde des Planeten besiegen kann – in einem Luftkanal. Ha! Was für ein schlechter Scherz. Bedauerlich, daß ich mich in diesem Moment nicht selbst beobachten kann. Doch was hat es mit diesem Kanal auf sich? Es gibt keinen Grund dafür, daß er so schroff abfällt. Und dieser L-Schalter… Rufus erinnerte sich an ein Gespräch, das er vor zwanzig Jahren mit seinem Vater geführt hatte. Bei dem Gedanken mußte er lachen.

Er war damals fünf Jahre alt gewesen. Klein-Rufus war mitten in der Nacht aufgewacht, weil sein Vater heimgekehrt war. Das kam selten genug vor. Obwohl er befürchten mußte, ausgeschimpft zu werden, verließ er sein Zimmer. Überrascht stellte er fest, daß sein Vater gute Laune mitgebracht hatte. Er ließ Rufus eine Blaupause betrachten, darauf ein Architekt Umbaupläne für das Präsidenten-Büro eingezeichnet hatte.

„Was hältst du davon? Von diesem Raum aus gebe ich der Welt meine Befehle.“

„Toll.“

Rufus gab vor, begeistert zu sein, während er versuchte, überhaupt zu verstehen, was es mit diesem Plan auf sich hatte. Auf jeden Fall mußte er seinen Vater irgendwie für dessen Klugheit loben. Doch da er nichts entziffern konnte, sagte er einfach, was ihm als erstes einfiel.

„Papa, wo ist der Fluchtweg?“

Sein Vater wußte nicht, was Rufus meinte.

„Fluchtweg? Welcher Fluchtweg?“

„Wenn der Feind angreift, mußt du doch irgendwie fliehen.“

„Aha…“

Jetzt verstand er, was sein Sohn von ihm wollte: „ShinRa hat keine Feinde. Und wenn es welche gäbe, nun ja, mein Büro ist auf der siebzigsten Etage. Niemand wird mich dort angreifen können.“

„Herr Palmer sagt, der Feind greift aus dem Weltraum an.“

„Palmer hat das gesagt?“

Sein Vater runzelte die Stirn, ein sicheres Zeichen, daß er wütend war. Palmer, der das Raumfahrtprogramm leitete, würde sich später einiges anhören müssen. Doch Palmer würde sich einfach sagen, daß es zu seiner Arbeit gehöre, vom Chef angeschnauzt zu werden, und damit wäre die Sache erledigt. Solange er nicht auf mich böse ist, interessiert es mich nicht. Aber ich glaube, er ist böse auf mich…

„Vater, es tut mir sehr leid. Ich bin sehr müde.“

„Hör mir zu, Rufus“, sprach Präsident ShinRa, ohne auf seinen Sohn einzugehen, „ich werde einen Fluchtweg anlegen lassen, für den Fall eines feindlichen Angriffs. Aber laß mich deutlich machen, daß ich diesen Weg nie benutzen werde. Ich lasse ihn für dich bauen, wenn du einmal Präsident wirst. Gleichwohl kann ich dir natürlich nicht garantieren, daß du jemals meinen Platz einnehmen wirst.“

„Vater…“

„Ha! Flüchten. Ich?“

„Vater. Tut mir leid.“

„Weswegen entschuldigst du dich? Willst du etwas zugeben, daß deine Idee dumm ist?“

„Genau.“

„Du bist und bleibst ein Einfaltspinsel.“

Rufus fiel nichts Weiteres ein, was er zu dem Plan hätte sagen können – außer eben, daß ein Fluchtweg fehlte.

„Wir werden den Fluchtweg mit etwas auffälligem markieren. Einem ‚L‘. Vergiß das niemals. ‚L‘ wie Loser. “

Rufus war dankbar. Dankbar für das, was er als Fünfjähriger getan hatte.

Die Partie auf der nicht enden wollende Rutschban, die vom Präsidenten-Büro bis hinunter in die Eingangshalle führte, gab Rufus Zeit, über sein bisheriges Leben nachzudenken. All diese kleinen, unwichtigen Erinnerungen, die in Vergessenheit geraten waren, kamen zum Vorschein. Ihm wurde bewußt, daß all diese Erinnerungen mit seinem Vater zu tun hatten. Da kam ihm in den Sinn, daß er eigentlich nur einer dieser jungen Männer war, einer dieser Jungs, die ihre Väter begeistern und übertreffen wollen, und dafür Lob erwarten, doch statt dessen von ihnen ausgeschimpft und ignoriert wurden.  Doch daß diese Zurückweisung ihn in diese Situation gebracht hatte, war komischer, als jeder Witz, den er jemals gehört hatte. In der Dunkelheit brach er in ohrenbetäubendes Gelächter aus.

Plötzlich war die Rutschbahn an ihr Ende gelangt und Rufus schlitterte durch einen hell erleuchteten Raum, der von schlichten Wänden umschlossen wurde. Der Raum war nicht groß, Rufus konnte nicht anhalten und so stoppte die gegenüberliegende Wand seine wilde Fahrt.

„Ach du Schande!“

Bei diesem jämmerlichen Fluch brach Rufus erneut in Gelächter aus. Er fühlte die gebrochenen Rippen, war aber unfähig, mit dem Lachen einzuhalten. Lachend blieb er am Boden liegen, ein erbärmlicher Anblick für jeden Betrachter. Doch seine Brüche holten ihn bald in die Wirklichkeit zurück.

Rufus machte sich trotz der Schmerzen daran, den weißgestrichenen Raum in Augenschein zu nehmen. Er maß etwa 5 Quadratmeter, in einer Ecke ein einfaches Bett, es hatte etwas an sich, das ihn an ein Krankenhaus denken ließ. Der Bettbezug war offenkundig hochwertig, indes lange Zeit nicht mehr benutzt worden. Rechts war eine Tür, die führte zu einer Toilette. Dann war da noch eine Stahltür an der gegenüberliegenden Wand, auf die Rufus jetzt zu humpelte. Er konnte keine Fallen entdecken, aber auch keinen Türgriff. Stattdessen befand sich neben der Tür ein Bedienfeld, wo man einen Code eingeben konnte. Rufus hatte keine Ahnung, wie der PIN-Code lauten könnte, und Lust auf Spielchen hatte er auch nicht. Gebückt, mehr kriechend als gehend, wandte er sich der Toilette zu.

In meinem jetzigen Zustand bin ich nicht präsentierfähig. Die Toilettentür ließ sich leicht öffnen. Drinnen standen Regale, auf denen befanden sich weiße Kisten, gemacht von ShinRa. Er nahm sich eine von dem untersten Brett – denn höher kam er nicht. Auf dem Deckel las er: „Für L.“

„Ha!“

Als er das las, wurde er einmal mehr von einem Lachkrampf geschüttelt. Doch da ihm seine gebrochenen Rippen starke  Schmerzen bereiteten, unterdrückte er das Lachen und konzentrierte sich darauf, die Kiste zu öffnen. Wie erwartet, beinhaltete sie Tränke und andere Medikamente. Er mied den Äther, der scheinbar schlecht geworden war, kramte etwas, bis er ein Schmerzmittel gefunden hatte, nahm es. Dann wartete er darauf, daß die Schmerzen verschwinden würden. Während alldem konnte er den Blick nie ganz von dem riesigen „L“ nehmen, das die Decke beherrschte.

„Vater, bring mich nicht nochmal so zum Lachen!“

Als der Schmerz nachgelassen hatte, kam die Benommenheit. Er wollte hier noch eine Weile sitzen bleiben, warten, bis er wieder klar im Kopf war. Doch diesen Gefallen tat er sich nicht, noch lieber wollte er so schnell wie möglich raus. Kriechend kehrte er zur Tür zurück, richtete sich auf, und probierte wahllos Kombinationen auf dem Nummernblock des Bedienfeldes. Keine öffnete die Tür. Denk nach, denk nach. Er gab der Medizin die Schuld an seiner Konzentrationsschwäche. Aber immerhin war es seine Entscheidung gewesen, die Pillen zu schlucken.

*** *** ***

Reno und Rude begutachteten das zerstörte Präsidenten-Büro.

„Niemand hier.“

„Seh’ ich auch so.“

„Hast du auch alles dreimal kontrolliert?“

„Klar, überall.“

„Also lebt er noch.“

„Aber wo ist er abgeblieben?“

Die Träger der Deckenkonstruktion waren heruntergestürzt. Sie konzentrierten sich darauf, sicherzustellen, daß Rufus nicht von ihnen zermalmt worden war.

„Also… wo sollen wir noch suchen?“

Der Meteor näherte sich unaufhaltsam. Mit sich brachte er einen verheerenden Sturm. Die Turks versuchten das zu ignorieren und setzten ihre Suche nach Rufus fort. Ihr Suchtrupp hatte seine Runden gedreht, aber nirgendwo gab es auch nur das geringste Anzeichen von Rufus.

Reno und Rude passierten eine unauffällige Tür, die sich im hinteren Teil des Eingangsbereiches befand. Stufen führten in ein Halbgeschoß, unter dem Empfang. Dort prüften sie, ob der Präsident vielleicht auf der Unfallstation für Führungskräfte eingeliefert worden war. Den Wünschen des vorherigen ShinRa-Präsidenten entsprechend, war die Station äußerst schlicht gehalten. Der kompakte Raum wurde von Stahlträgern beherrscht, die an Decke, Boden und den Wänden sichtbar waren. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, den Raum freundlich zu gestalten, wenigstens durch einige Bilder oder ähnliches.

„Hier ist nichts. Laß gehen, Rude.“

„Warte.“

Rude deutete auf die Wand.

„Die Farbe hier ist anders.“

*** *** ***

Rufus stand neben dem Schaltpult und betrachtete die Tasen mit den Ziffern von Null bis Neun. Er überlegte kurz, daß er ja nur sämtliche möglichen Kombinationen durchprobieren mußte, aber das war natürlich unmöglich. Er würde sich beim Herumprobieren verrennen. Er benötigte einen brauchbaren Plan, um sich aus diesem Raum zu befreien. In Gedanken ging er wichtige Daten durch, die sein Vater für den PIN-Code hätte verwenden können. Er probierte den Geburtstag seiner Mutter und das Datum ihres Todes. Vergeblich. Das wunderte ihn nicht, für seinen Vater waren diese Daten bedeutungslos.

Er wußte nicht, wie lange er schon hier drin war. Es war ihm gleich, wichtig war nur, daß er am Leben war, und daß er sich immer noch um Meteor kümmern mußte. Denn offenbar war der Einsatz der Sister Ray gescheitert, und Sephiroth hockte weiterhin im Nordkrater. In diesem Fall würde Meteor früher oder später einschlagen und ihn in den Tod reißen.

Rufus dachte über den Tod nach. Dann wird mein Geist eins werden mit dem Lebensstrom, der durch diesen Planeten fließt. Ich frage mich, ob Vater auch dort sein wird. Hat Bewußtsein Gestalt? Sicher nicht, der mächtige Energiestrom würde wohl das Bewußtsein eines einzelnen Menschen mühelos davonspülen.

„Jetzt verstehe ich.“

Er verstand nun, was das Ende des Planeten bedeuten würde. Froh über diese Erkenntnis, griff er in die Innentasche seines weißen Jacketts und förderte die Pillendose zutage. Er nahm noch drei Pillen des Schmerzmittels heraus, ließ sie im Mund zergehen und würgte sie dann herunter. Dann widmete er sich wieder dem Bedienfeld.

„Ha!“

Selbst wenn er sowieso sterben mußte, hier drin wollte er es unter keinen Umständen. Er tippte eine Ziffernfolge ein, an die er zunächst überhaupt nicht gedacht hatte. Dann starrte er erwartungsvoll auf den Nummernblock. Ihm war klar, daß er damit seinem Vater gegenüber eine Niederlage eingestand – aber jetzt war nicht die Zeit für törichten Stolz.

*** *** ***

Reno und Rude untersuchten den Teil der Mauer, deren Anstrich abwich.

„Es ist nur eine Wand, Rude.“

In diesem Moment wurde die Wand vor ihnen erschüttert. Ein Spalt öffnete sich, als ein Teil des Mauerwerks im Boden verschwand. Die beiden Turks wechselten einen Blick und stürmten dann durch den Spalt. Dahinter verbarg sich ein kleiner Raum mit kalkweiß gestrichenen Wänden.

„Jemand hier?“, fragte Reno, als ihm schon Rufus’ Gesicht entgegenkam.

„Gute Arbeit“, brachte der junge Firmenpräsident noch heraus, bevor er kollabierte.

„Boß!“

Rude drängelte an Reno vorbei, der sich über den Präsidenten gebeugt hatte. Er sah mit einem Blick, daß er sich hier in einem Schutzraum befand.

Schnell kontrollierte er die Umgebung. Auf dem Schaltpult leuchteten noch die vier Ziffern des PIN-Codes. Rude wußte nicht, daß es eine ganze spezielle Kombination war, die der alte Präsident stets benutzt hatte, wo ein PIN nötig wurde. Eine besondere Nummer, die er nie vergaß – nämlich das Geburtsdatum seines Sohnes.

„Rude, hol einen Arzt. Und paß auf, daß draußen alles in Ordnung ist.“

„Wie geht’s dem Boß?“

„Scheint, als würde er bloß schlafen.“

Jetzt, da Reno es gesagt hatte, vernahmen sie die leisen, gleichmäßigen Atemgeräusche des Präsidenten.

„Hey, der ist wohl ganz schön froh uns wiedersehen“, witzelte Reno.

„Ja, das bin ich auch“, erwiderte Rude ohne jede Spur von Humor. Dann holte er den Arzt.

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