Barrets Geschichte: Kapitel 1

Info

Seit jenem schicksalshaften Tag waren einige Monate vergangen. Nachdem er Tifa und Cloud dabei geholfen hatte, sich ein neues Zuhause aufzubauen, hatte Barret seine Adoptivtochter Marlene in die Obhut der beiden gegeben und sich zu einer Reise aufgemacht. Es war eine Reise, um eine Schuld aus der Vergangenheit zu begleichen. Bevor er ging, richtete er einige Worte an Tifa, die dieselbe Bürde auf ihren Schultern trug. Nimm nicht nur. Zeige, daß du auch geben kannst. Er glaubte, seine Worte würden ihr, allermindestens, ein bißchen Erlösung bringen. Aber seine eigenen Worte konnten ihm keinen Trost spenden und Barret war unsicher, was er tun sollte. Bei Marlene zu sein löste seine Anspannung; gleichzeitig fühlte er sich schuldig, weil er so einen Vorwand hatte, seine Abreise hinauszuzögern. Ihm war klar, daß er gehen mußte, auch wenn er kein bestimmtes Ziel vor Augen hatte. Er würde für eine Weile aufhören müssen, sich an das zu klammern, was ihm Halt bot. Sich dem Ungewissen allein stellen. Er entschied sich für einen schnellen Aufbruch.

Etwa ein halbes Jahr lang durchstreifte er die Welt. Sah man vom Geostigma-Problem ab, so verlief das Leben außerhalb Midgars wieder in gewohnten Bahnen. Doch es fiel auf, daß kaum jemand Mako benutzte – kein einziger Reaktor wurde mehr betrieben. Es gab eine Zeit, da hätte Barret dies als einen Sieg für sich und die Anti-ShinRa Bewegung empfunden, doch das Gefühl, in dieser Welt verloren zu sein, überlagerte jede Zufriedenheit. Einem Mann mit einer Gewehrprothese an seinem rechten Arm bleibt keine andere Wahl, als inmitten des Chaos‘ auf dem Schlachtfeld zu stehen. Nimmt man ihm das Kämpfen weg, welche Möglichkeit hat er dann noch, für seine Sünden zu bezahlen? Der Gedanke machte ihm zu schaffen.

Manchmal wanderte er durch die Wälder, stets auf der Suche nach einem Kampf, und brachte jedes Monster zur Strecke, das ihm in die Quere kam. Doch das Kämpfen steigerte seine Abscheu vor sich selbst nur noch. Das einzige was ich töte ist Streß. Und jedes Mal ertönte sein markerschütternder Schrei.

„Rrraaahhhhhh!“

*** *** ***

Er bewegte sich durch die Menge auf den Straßen Junons, als es passierte. Etwas war gegen seinen Waffenarm gestoßen. Als er den Kopf beugte, sah er ein kleines Kind. Es hatte sich die Stirn blutig geschlagen und weinte bitterlich. Während Barret noch die Wunde untersuchte, näherte sich eine Frau, wohl die Mutter des Jungen, und beschwor ihn: „Bitte! Bitte vergeben Sie meinem Jungen. Ich flehe sie an, Ich werde alles tun, was sie verlangen!“

Die Augen der Frau stierten ängstlich auf das Maschinengewehr an Barrets rechtem Arm. In Zeiten des Friedens, bin ich auch nur ein Monster, schoß es ihm durch den Kopf. Die Zeiten änderten sich. Er mußte sich eine andere Art Wiedergutmachung überlegen, eine, die dem neuen Zeitalter angemessen war. Er hatte noch keine Ahnung, wie das aussehen sollte, aber er wußte, daß er sich zunächst selbst verändern mußte.

Barret machte sich auf, den alten Sakaki zu besuchen, jenen Kunsthandwerker, der damals seine Armprothese gefertigt hatte. Das erste Modell war simpel gestaltet und mit einem Enterhaken am Ende versehen gewesen. Dies hatte Barret enttäuscht. Er hatte mehr mit seinem Arm anfangen wollen. Zum Beispiel ein Loch graben – der alte Mann machte ihm einen Schaufelarm -, oder Holzpfosten in die Erde schlagen – ein eigens gefertigter Hammerarm eignete sich vorzüglich dafür. Doch Barret konnte sich mit nichts davon zufrieden geben. Eines Tages sagte der alte Mann einem sichtbar verstimmten Barret: „Dein Kopf ist voll von Rachegedanken gegen ShinRa. Du wirst niemals zufrieden sein, gleich, was du dir auf deinen Arm steckst. Nimm dies hier und komm‘ nie wieder her.“

Der alte Mann hatte ihm einen Adapter gegeben, mit dem man verschiedene Prothesen an seinem Arm befestigen konnte. Dadurch wurde Barret in die Lage versetzt, beliebige Werkzeuge – oder auch Waffen – an seinem Arm festzumachen.

„Was du daran anbringst ist allein deine Sache. Ich schlage vor, du denkst gründlich darüber nach.“

Trotz der Warnung hatte Barret nie einen Gedanken daran verschwendet, was er sinnvolles mit seinem Arm anfangen könnte. In der folgenden Zeit hatte er einfach jede Waffe ausprobiert, die ihm zwischen die Finger kam und so seine Feuerkraft stetig erhöht. Viele Jahre lang waren Waffen das einzige gewesen, was Barret an dem Adapter anbrachte.

Als Barret nun in die Handwerksstube zurückkehrte, bat er den alten Mann darum, ihm einen neuen Arm zu machen – einen mit weicher Oberfläche und einer richtigen Hand am Ende. Einen Arm, vor dem niemand Angst zu haben brauchte, einen, der es ihm ermöglichen würde, ein ganz gewöhnliches Leben zu führen. Der alte Sakaki schnaubte nur verächtlich und starrte Barret schweigend an.

„Kämpfen is‘ nicht das einzige, was ich kann. Ich will nich‘ länger, daß die Leute Angst vor mir haben.“

„Wirklich? Wer gibst du vor zu sein?“

„Wie ich schon sagte… „, setzte Barret zur Antwort an. Er ging kurz in sich, nur um festzustellen, daß er die Antwort nicht wußte. Was zur Hölle muß ich tun, um mich in eine Welt einzufügen, in der die Menschen gerade das Lächeln wieder erlernen?

„Scheiße! Woher zum Teufel soll ich das wissen.“

*** *** ***

„Ich brauche ungefähr eine Woche. In Ordnung?“

„Gut. Während du damit beschäftigt bist, kann ich -„

„Falls du nichts besseres zu tun hast,“ unterbrach ihn der Alte, „könntest du doch meinem Neffen helfen? Er erstickt in Arbeit. Und im Gegenzug…hmm.“

„Vergiß es. Ich brauch‘ keine Belohnung.“

„Naja, ich denk‘ mir schon was aus.“

*** *** ***

Einen Tag später war Barret mit dem Truck unterwegs. Während der Neffe des alten Sakaki fuhr, überlegte Barret, wie er als Kind mit genau so einer Maschine querbeet rumkutschiert worden war. Der Motor wurde mit Dampf betrieben, der aus einem kohlegeheizten Wasserboiler stammte. Ganze vier Männer sind nötig, um so einen Truck zu bedienen: Einen Fahrer hinterm Steuer, einen Mechaniker, der die Motorleistung kontrolliert und zwei Heizer, die den Ofen mit Kohle versorgen. Im hinteren Teil des Trucks befand sich die Ladefläche, welche gut zehn Männer aufnehmen konnte. Die Kohle beanspruchte den Platz von fünf Männern und von der verbliebenen Staufläche nahm Barret den Platz für zwei weg.

Er lag ausgestreckt dar, Gesicht nach oben, und blickte gen Himmel. Mann, ist das lahmarschig, dachte er. Niemand hatte Schuld daran. Die riesigen dampfbetriebenen Trucks waren schon immer so dahergeschlichen. Die Männer schufteten so hart sie konnten, der Schweiß perlte nur so von ihren Gesichtern ab. Der Truck fuhr mit Höchstgeschwindigkeit. Einer der Heizer, er war in mittleren Jahren, betrat die Ladefläche, um eine Pause zu machen.

„Tut mir leid, daß ich so reinplatzte, während du schlechte Laune hast, aber ich muß mich mal kurz setzen.“

„Ich hab keine schlechte Laune, brauchst dich nicht zu entschuldigen.“

„Ne, gar nicht, bist nur so stinksauer, daß  man erschrickt, wenn man dich ansieht.“

Barret richtete sich auf und funkelte den Mann wütend an: „Verdammte Scheiße, geht dich das was an?“

„Na also – Ich hab recht, siehste?“

Die beiden schwiegen für einen Moment. Dann erhob der Heizer die Stimme.

„Haste vor, jetzt für immer unser Aufpasser zu werden?“

„Ich tu‘ nur dem alten Mann ’nen Gefallen. Keine Ahnung was ich danach mache.“

„Du bist nicht der Richtige dafür.“

„Den Aufpasser spielen? Es gibt verdammt nochmal keinen anderen, der das besser könnte als ich.“

„Kann schon sein.“ Der Heizer wurde wieder still. Barret wartete, ob er weiterreden würde. Was denkt der Idiot nur von mir?

„Hey Mann, sag mir mal was.“ Vielleicht kann der Kerl mir ja dabei weiterhelfen, was ich mit meinem Leben anfangen soll. „Was denkste, bin ich für ein Typ?“

„Der Typ, der nicht nur die Monster auseinandernimmt, die ihm über den Weg laufen, sondern auch noch die Monster in ihren Höhlen heimsucht.“

Was du nich‘ sagst. Vielleicht haste Recht.

„Selbst dann, wenn du gar nich‘ weißt, wo die Höhlen sind,“ fügte der Heizer mit einem Grinsen hinzu.

„Bei dir klingt das so, als wär‘ ich ein Trottel.“

„Was du machst, ist nicht leicht. Vielleicht sollteste stolz drauf sein, wa?“

Barret sah dem anderen Mann in die Augen und lachte, heh heh heh. Der Heizer sah ihn verwirrt an.

„Kann ich dich um einen Ratschlag bitten?“

„Kommt ganz auf den Rat an.“

„Ich möchte meine Sünden wiedergutmachen. Darum bin ich unterwegs. Aber egal wie viel Zeit vergeht, ich weiß einfach nicht, wie ich’s anstellen soll. Also wahrscheinlich bin ich genau so, wie du sagst. Was glaubste, was so ein Typ wie ich tun  muß, um zu büßen?“

„Ich würde sagen, daß hängt von den Sünden ab.“

„Unzählige Menschen sind gestorben…meinetwegen.“

Barret dachte daran, wie er damals Mako-Reaktor #1 mit seinen Kameraden von Avalanche hochgejagt hatte. Ein Schaden, der über alles hinausging, was sie erwartet hatten. Eine ganze Stadt in Panik. Wie seine Freunde starben. Und Leute, die er nicht kannte.

Der Heizer hatte bemerkt, daß Barret plötzlich still geworden war und meinte: „Lass dich einfach nicht unterkriegen und lebe, das ist alles. Und versuch weiterhin alles zu tun, von dem du glaubst, daß es Wiedergutmachung leistet.“

„Ich hatte befürchtet, daß du sowas sagen würdest.“

„Aber was man am besten tut, wenn man keine Ahnung hat, wo die Höhlen der Monster sind… Du gehst wohl einfach raus und haust sie alle kaputt. Und eines Tages, vielleicht, hast du dich von ihnen befreit – Hey, da vorne!“

Der Heizer zeigte auf einen Punkt hinter dem Truck. Ein Monster, von kleiner Gestalt aber mit einem furchterregenden Aussehen, verfolgte sie. Barret richtete das Ende seines rechten Arms auf das Monster und feuerte wild drauf los. Der Körper der Kreatur wurde von dem ratta-tatta des Schnellfeuers aus Barrets Waffe zerfetzt.

„Als Monster ist man halt arm dran“,  kommentierte Barret das Geschehen.

Als Barret sich umdrehte, um dem Heizer zu sagen, er brauche sich keine Sorgen zu machen, bemerkte er dessen starren Blick, der auf seinen rechten Arm gerichtet war. Genauso hatte ihn die Frau in Junon angesehen. Vielleicht bin ich das Monster.

„Weißt du, Mann, die Höhle des Monsters könnte auch irgendwo in mir drin sein…“

Doch der Heizer wollte ihm nicht mehr antworten.

Alle Kapitel: 1 2 3 4