Barrets Geschichte: Kapitel 4

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Cid kam herüber geschlendert, während Barret emsig damit beschäftigt war, die Löcher in der Decke zu auszustopfen. Da ihm der Vorfall peinlich war, ignorierte Barret ihn und konzentrierte sich auf die Reparaturarbeiten. Cid nahm Platz.

„Hast du dich jetzt abgeregt?“

„Entschuldige.“

Mit einem Kopfschütteln deutete Cid ein Schwamm drüber an. „Ich könnte bei einer Sache deine Hilfe gebrauchen.“

Barret hielt inne und sah Cid forschend an.

„Erstens, Mako. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Wir würden nur ein bißchen vom Planeten nehmen, gerade was wir brauchen. Die Idee hatten wir auch. Denn die Wahrheit ist, Luftschiffe sind nützlich. Ganz besonders jetzt, wo die ganze Welt dabei ist wieder auf die Beine zu kommen. Wenn die mir dann eines Tages sagen, daß ich nicht mehr gebraucht werde, suche ich mir einfach ein nettes Plätzchen, wo ich die Shera abstellen und in mein Haus verwandeln kann.“

Cid fuhr fort, indem er ihn über die derzeitige Situation informierte. Wie die Dinge lagen, waren sämtliche Mako-Reaktoren in aller Welt stillgelegt worden. Der Grund dafür sei keineswegs, daß die Allgemeinheit Skrupel gehabt hätte, die Lebenszeit des Planeten zu verringern. Das Problem sei viel einfacher: ShinRa hatte die Reaktoren betrieben und sie ohne den Konzern in Stand zu halten, war schwierig.

Und der wahre Grund, warum niemand den Betrieb wiederaufnahm?

„Heute weiß wirklich jeder, daß Mako-Energie aus dem Lebensstrom aufgesaugt und endgültig verbraucht wurde“, sagte Cid. „Und an jenem Tag konnte jeder aus erster Hand erfahren, wie schrecklich und furchterregend der Lebensstrom sein kann. Die haben Schiß. Schiß davor, den Planeten zu verärgern.“

Barret rief sich in Erinnerung, wie der Lebensstrom den auf Midgar hereinbrechenden Meteor nur Augenblicke vor der völligen Vernichtung des Planeten hatte verdampfen lassen. Die Macht des Lebensstroms war unermeßlich, ging sicherlich über alles hinaus, was die Menschheit jemals erzeugen konnte.

„Niemand traut sich näher als drei Schritte an Mako ran.“

„Du willst also sagen, daß es momentan keine Möglichkeit gibt, Mako abzubauen?“, fragte Barret.

„Ay. Wahrscheinlich nicht. In den Reaktoren in Midgar haben wir noch etwas Mako, was dort eingesaugt, aber nie benutzt wurde. Momentan sieht es so aus, daß jeder Mako-Motor auf der ganzen Welt mit diesen Reserven läuft. Bezirksvorsteher sind damit beschäftigt, diese Reserven gerecht zu verteilen. Hauptsächlich, um Maschinen zu betreiben, die beim Wiederaufbau helfen.“

„Yeah, weiß ich. Ich war in Midgar. Aber hey, kann doch nicht schaden, wenn wir einen Reaktor hin und wieder anwerfen? Egal, wie furchteinflößend das ist.“ Vergebt mir, Biggs, Wedge, Jessie.

„Dort wird man keinen einzigen Tropfen Mako mehr aus dem Boden saugen können. Die Flußrichtung des Lebensstroms hat sich geändert.“

„Hast du das überprüft?“

„Red XIII hat es mir berichtet. Wenn er es sagt, wird es richtig sein.“

Barret fehlten die Worte. Teilte ihnen der Planet auf diese Weise mit, daß sie die Finger von Mako lassen sollten?

„Wenn wir irgendwo anders einen neuen Reaktor errichten würden, nun, das wär‘ was anderes. Aber so einen Platz müßte man erst mal finden, dann das Baumaterial hinbringen… Ganz zu schweigen davon, wie lange die Konstruktion dauern würde. Aber das größte Problem wäre immer noch, das Baumaterial zu transportieren.

„Das ist doch alles Scheiße!“

„Ay, sobald diese Mako-Reserven aufgebracht sind, war’s das. Die Welt kehrt zurück ins Kohle-Zeitalter. Bald werden wir wieder mit den guten alten Dampf-Trucks durch die Gegend zuckeln. Zurück in die Zeiten, als es noch ‚Chocobos-sind-die-schnellste-Art-über-Land-zu-reisen‘ hieß. Nich‘, daß das so schlimm wäre.“

„Du willst also einfach so aufgeben? Sollen wir durchs Leben schreiten, indem wir uns rückwärts bewegen? Yeah, wir haben alles spitzenmäßig versaut, das ist mir bekannt. Und darum sollten wir auch nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Also? Wie sollen wir unseren Kopf über Wasser halten? Warum suchen wir nicht nach einem anderen Weg?“

„Womit wir beim Thema Öl wären“, sagte Cid mit einem Grinsen.

„Öl? Diese nutzlose Pampe?“

Für jemanden wie Barret, der in Kohlegruben gearbeitet hatte, taugte Öl allerhöchstens als Brennmittel für Lampen.

„Nutzlos wurde es erst, als die Mako-Energie entdeckt wurde. Die Wahrheit ist, daß Öl uns ein neues Zeitalter hätte eröffnen sollen. Man hatte sogar die nötige Technik, um verschiedene Arten von Kraftstoffen aus Öl herzustellen. Aber als Mako entdeckt wurde, hat sich die Forschung nur noch darauf konzentriert. Und so verschwand Öl sang- und klanglos aus der Geschichte.“

Cid beschrieb nun, wie sein Team und er alte Aufzeichnungen studiert und ein Ölfeld entdeckt hatten. Glücklicherweise befand es sich recht nahe bei Rocket Town. Vor Ort hatten sie die nötigen Anlagen vorgefunden, um nach Öl bohren und daraus Benzin gewinnen zu können – keine gute Qualität, aber nichtsdestotrotz vorhanden. Cid und seine Leute hatten die Einrichtung wieder in Betrieb genommen. Aber der Kraftstoff brachte ihnen noch nicht die nötige Antriebskraft.

Sie brauchten einfach wirksameren Kraftstoff. Sie hatten beharrlich in diese Richtung gearbeitet und nun standen die Chancen, richtiges Kerosin herzustellen, sehr gut. Parallel dazu wurde versucht, die alten Mako-Motoren so umzubauen, daß sie mit dem neuen Kraftstoff arbeiten konnten. Das war sehr kompliziert und leider ging es nicht besonders gut voran.

„Wann habt ihr Leute die Zeit dafür gehabt?“

„Nachdem es passiert ist. Sofort danach.“

„Verdammt, Cid! Das ist unglaublich!“

„Wie ich schon sagte, wir hatten die Aufzeichnungen. Da steckt nicht ein Funken Innovation drin. Wir haben lediglich der alten Technologie neues Leben eingehaucht.“

„Wie auch immer, das bedeutet das Ende für Kohle, oder?“ Barret, im Kohlebergbau groß geworden, sah dem mit gemischten Gefühlen entgegen.

„Die Zeiten ändern sich. Das ist unaufhaltsam. Wir wurden nur zufällig an der Zeitenwende geboren. So ist das.“

„Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.“

„Wie wär’s, wenn du dich freuen würdest? Das kommende Zeitalter ist unsere große Chance, alles Mögliche auszuprobieren und zu verändern.“

„Das stimmt.“

„Das einzig unschöne daran…“

„Was?“

„Wir haben ganz schön viel auszuprobieren und die Zeit rennt uns davon. Schöne Scheiße, was?“

*** *** ***

Cid und Barret machten sich auf den Weg nach Osten. Sie hatten einen ganzen Tagesmarsch vor sich. Am Ziel angekommen, wurden sie von Shera begrüßt.

„Yo!“, rief Barret, der sich freute, sie nach so langer Zeit wiederzusehen. Shera schien sich kein bißchen verändert zu haben. Doch Barret fiel sofort das Stigma an ihrer rechten Hand auf. Sie mußte es bemerkt haben, denn sie versuchte schnell die Hand unter ihrem Mantel zu verstecken.

„Tut es weh?“, fragte Cid schroff. „Quäl‘ dich nicht so.“

Uns allen läuft die Zeit davon, dachte Barret.

Cid nahm den Bohrturm in Augenschein. Er schien außer Betrieb zu sein.

„Warum zum Teufel-„

Shera klärte sie schnell auf.

„Wir haben heute Morgen abgeschaltet. Wir hätten noch ein bißchen mehr rausholen können, aber der Ausstoß betrug zuletzt nur noch zehn Prozent der ursprünglichen Menge. Zu wenig. Darum haben wir abgeschaltet.“

Cid ließ die Schultern hängen und murrte: „Am ersten Tag kam es nur so herausgeschossen, auch ohne die verdammte Pumpe. Von dem Öl, das auf uns ‚runter regnete sind wir rabenschwarz geworden und haben uns dabei ’nen Ast gelacht.“

Barret stieß einen kehligen Seufzer aus.

„Der Planet wird uns nix anderes geben, häh?“

„Das stimmt nicht“, entgegnete Shera mit fester Stimme. „Der Planet hält sehr viele Ressourcen für uns bereit. Zum Beispiel Kohle, Öl, Mako. Es könnte sogar noch Rohstoffe geben, von denen wir jetzt nichts wissen. Uns wird nichts passieren, solange wir verantwortungsvoll damit umgehen. Solange wir nicht gierig werden. Wenn wir erfinderisch vorgehen. Der Planet ist um uns besorgt. Immerhin besteht der Lebensstrom, der in ihm fließt, aus nichts anderem als Menschen, die einst lebten wo wir jetzt stehen.“

Bei diesen Worten kamen Cid und Barret ins Grübeln.

Shera – sie wird sich immer gut um Cid Gedanken machen, auch noch, nachdem sie zum Planeten zurückgekehrt ist, überlegte Barret. Umgekehrt gilt das gleiche für Cid. Und für mich auch.

„Shera…“, wollte Cid sagen, doch er verstummte wieder.

Nach einer kleinen Pause setzte er erneut an: „Shera. Wie steht es um den Treibstoff?“

„Sehr gut. Es kommt natürlich darauf an wie effektiv dein Motor arbeitet, aber du solltest in der Lage sein, einmal den Planeten zu umrunden. Das dürfte für einen Testflug reichen, würde ich sagen. Was denkst du?“

„Der Motor ist noch nicht fertig. Nix geht. Ein Ende ist nicht abzusehen. Hör zu, Shera…“

„Was ist denn?“

Cid war verstummt. Barret ergriff das Wort für ihn.

„Cid möchte nur, daß du bei der Entwicklung des Benzinmotors hilfst. Daß du ihm Feuer unterm Hintern machst, verstehste? Auch wenn wir mit dem Treibstoff so weit sind, bleibt noch haufenweise Arbeit“

„Ich weiß.“ Shera sah Cid an. „Ich kann doch jetzt nicht die Flinte ins Korn werfen.“

Barret mußte noch etwas hinzufügen.

„Und wenn du dann mit dem Motor fertig bist, wartet noch anderswo jede Menge Arbeit auf dich!“

Shera antwortete mit einem Lächeln.

*** *** ***

Schweigend betrachteten die drei den Bohrturm.

„Barret“, fragte Cid, „Weißt du zufällig, wo das nächste Ölfeld ist?“

„Überlaß das nur mir!“ Barret hatte keine Zweifel mehr. Hey, Planet. Hey, ihr Seelen, die ihn durchströmen. Wenn ihr mich bestrafen wollt, dann kommt jetzt her. Aber ich werd‘ mich allen Mitteln verteidigen. Die einzigen, die mich bestrafen können, sind die Leute, die noch am Leben sind. Ich werde leben, damit die Lebenden eine Zukunft haben.

Als Barret in die Werkstatt des alten Sakaki zurückkehrte, hielt dieser eine neue Prothese für ihn bereit. Sie entsprach genau seinen Wünschen. Die Hand war aus Holz hergestellt und fühlte sich angenehm weich an. Sie war nicht für den Adapter gedacht, sondern konnte direkt an seinem Arm angebracht werden. Barret betrachtete eingehend die Hand, schaute dann den alten Mann an und meinte schließlich: „Ich hab noch einen langen Weg vor mir. Ich muß ein Land finden, in dem es Öl gibt. Ich werde vielleicht Gegenden bereisen müssen, in die sich sonst kein Mensch trauen würde – gefährliche Orte. Keiner weiß, was sich dort für Monster tummeln. Darum brauch ich weiterhin eine Waffe. Aber nicht nur zur Selbstverteidigung. Ich darf mit dem Kämpfen nicht aufhören. Wenn ich auf diese Weise einem anderen das Kämpfen ersparen kann, so ist das meine Berufung. Nein, das ist meine Art der Buße.“

Nachdem er sich Barrets ungewöhnlich klug gewählte Worte angehört hatte, begab sich Sakaki in den hinteren Teil seines Ladens, um mit einer Art Paket wiederzukommen. Er öffnete es und Barret konnte eine Prothese erkennen, die Spuren von Rost trug. Es war eine ausgezeichnet verarbeitete Stahl-Hand. Sogar die Finger sahen beweglich aus.

„Mit ein wenig Übung könntest du damit sogar schreiben. Wie gut das gelingt, hängt nur von dir ab.“

„Das…“

„…ist eine Art Bezahlung dafür, daß du meinem Neffen geholfen hast. Aber da du anscheinend keine Verwendung dafür hast, werde ich wohl drauf sitzen bleiben.“

„Tut mir leid. Diese Prothese herzustellen muß sehr lange gedauert haben.“

„Eigentlich nicht. Ich habe sie schon vor vielen Jahren für dich angefertigt. Komm sie dir abholen, wenn alles vorüber ist“, sagte der alte Mann. „Bis dahin werd‘ ich den Rost abkratzen.“

*** *** ***

Nachdem Barret den Laden verlassen und schon eine Weile unterwegs gewesen war, kam ihm ein Gedanke. Ich hätt‘ Marlene einen Brief schreiben sollen. Vielleicht sollt‘ ich se auch mal anrufen. Nein. Wenn alles vorbei ist, komm‘ ich wieder hier her und schreibe den Brief mit der Hand, die der Alte für mich gemacht hat. Und dann überbringe ich meinen Brief Marlene höchstpersönlich. Barret wollte schreien. Und auf Geheiß seines Herzens tat er es:

„Ich komme!“

~ Ende von Barrets Geschichte ~

Fortsetzung folgt mit Yuffies Geschichte

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