Eine weitere ungeklärte, wenn auch nebensächliche, Frage war, wie man den letzten Kampf von Cloud gegen Sephiroth bewerten sollte. War er Fiktion oder Realität? Ich werde zunächst zwei Positionen vorstellen und dann zur quasi offiziellen Interpretation kommen, die in Maiden who Travels the Planet angeboten wird.
Fan-Theorien
Fiktion oder Realität?
Aus einer psychologischen Sicht der Dinge heraus war es ein Scheingefecht, welches nur in Clouds Kopf stattfand. So wurde behauptet, dass Cloud hier nocheinmal die Etappen seiner Reise durchginge (symbolisiert durch die “Tunnel”, die seine Gedankengänge darstellten), an deren Ende die Vernichtung Sephiroths steht. Den Kampf könne man daher nicht verlieren, denn Sephiroth sei schon längst besiegt. Cloud realisiert erst in diesem Augenblick, was er bereits geschafft hat und befreit sich gedanklich von seinem Erzfeind, schließt mit seiner Vergangenheit ab und wird frei.
In einer weniger abstrakten Deutung war der Kampf sehr wohl real. Cloud sei noch tiefer in den Planeten hineingefallen und habe dort den wahren Sephiroth getroffen. Dieser wäre natürlich – getreu der Brittenham’schen Denkart – in Wirklichkeit extrem schwach, da er ohne Jenova ein Nichts sei. Darum könne Cloud ihn problemlos erledigen.
Diskussion
Die erste Interpretation klingt vermutlich vielen zu abgedreht. Wieso ist man überhaupt auf die Idee gekommen, der Kampf sei nicht real gewesen? Ein Problem, welches die Anhänger der zweiten These nie lösen konnten, war, warum Cloud sich in der folgenden Sequenz offenbar nicht vom Fleck bewegt hatte. Wäre der Kampf real gewesen, hätte er sich nach dem Kampf doch an einem anderen Ort aufhalten müssen. Daher hielt man die erste These von der “gedanklichen Auseinandersetzung” für wahrscheinlicher. Andererseits konnte auch diese nicht völlig überzeugen. Denn HEILIG wirkte erst, nachdem auch diese letzte Form von Sephiroth besiegt war. Irgendwie musste der Kampf also doch in Wirklichkeit stattgefunden haben, oder nicht?
Offizielle Deutung
Die “offizielle” Erklärung geht nun konsequenterweise davon aus, dass der Kampf real ist. Gleichzeitig findet der Kampf aber nicht physisch, also in der realen Welt statt, sondern rein mental. Beide Ansätze werden also kombiniert. Wie ist das möglich? In der Novelle Maiden who Travels the Planet, wird es wie folgt erklärt:
Clouds Eindringen in den Lebensstrom
Nachdem der “One Winged Angel” vernichtet worden war, hatte Sephiroth aufgehört, physisch zu existieren. Sein Bewusstsein zog sich in den Lebensstrom zurück. Dort war sein böser Wille immer noch stark genug, um den Einsatz von HEILIG zu verhindern. Da Cloud Jenova-Zellen trug, war er geistig immer noch mit Sephiroth verbunden und konnte spüren, dass dieser im Lebensstrom HEILIG blockierte. Cloud drang darum mit seinem Willen/Bewußtsein direkt in den Lebensstrom ein, und begab sich auf die Suche nach Sephiroth. Woher Cloud die mentale Stärke nimmt, mit seinem Bewußtsein in den Lebensstrom zu gelangen, während er gleichzeitig physisich andernorts weilt, ist dabei eine andere Frage, die leider nicht geklärt wird.
Eine „Welt aus Bewußtseinsenergie“
Die “Tunnel” sind also der Lebensstrom. Cloud sucht Sephiroth und findet ihn schnell. Es kommt zu einem mentalen Kampf — Clouds Wille gegen Sephiroths Wille, in einer “Welt aus Bewusstseinsenergie”, wie es in Maiden who Travels the Planet heißt. Dieser mentale und eigentlich unsichtbare Kampf wird im Spiel durch ein scheinbar echtes Schwertgefecht symbolisiert. Clouds Wille triumphiert, im Spiel dargestellt, durch die tödlichen fünfzehn Schwerthiebe, die er Sephiroth zufügt. In diesem Moment zerstört Cloud Sephiroths Seele, dessen Bewusstsein. Nun führt Aerith Clouds Seele wieder zurück in dessen Körper. Dies geschieht in der berühmten “Hand-Szene” (die also NICHT besagen soll, dass sie Cloud ins Verheißene Land einlädt!). Jetzt ist der Weg für HEILIG frei, den Planeten zu retten.
Geburtsstunde der Silberhaarigen?
In einem weiteren, aber unbestätigten Schritt, könnte man nun vermuten, dass der Moment, in dem Cloud Sephiroths Seele zerstört, die “Geburtsstunde” von Kadaj, Loz und Yazoo ist. Bekanntlich sind diese “Silberhaarigen” Fragmente von Sephiroths Bewusstsein im Lebensstrom. Was liegt näher, als anzunehmen, dass Sephiroths Bewusstsein in diesem Moment gespalten wurde?
Schlussbemerkung
Die Relevanz und Stichhaltigkeit der Novelle Maiden who Travels the Planet (eigentlich: Hoshi o Meguru Otome) wird immer wieder in Frage gestellt, und damit auch die oben skizzierte Interpretation des Kampfes zwischen Cloud und Sephiroth am Ende von Final Fantasy VII.
Das hat zwei Gründe: Zum einen liegt diese Novelle lediglich auf Japanisch vor; zwar gibt es hier auf CetraConnection eine deutsche Fan-Übersetzung, die manchen aber offenbar nicht ausreichend ist. Zum anderen ist der Verfasser, Benny Matsuyama, kein Angestellter bei Square Enix, sondern ein freier Autor, der damit beauftragt wurde, diese Novelle als Bonus für das Lösungbuch Final Fantasy VII: Ultimania Omega zu schreiben. Dies unterscheidet die Novelle z.B. auch von On the Way to a Smile, dessen Autor Kazushige Nojima immerhin die Geschichte hinter Final Fantasy VII und der Compilation erdacht hat, und insofern als „Autorität“ in dieser Sache gelten darf. Daher gilt Maiden who Travels the Planet vielen als eher vernachlässigenswerte Fan-Fiction, aber nicht als offizieller Teil des Final Fantasy VII-Universums.
Dagegen kann man einwerfen, dass Final Fantasy VII: Ultimania Omega sehr wohl ein offizielles Dokument ist, da diese Lösungsbuch-Reihe im Buchverlag von Square Enix erscheint. Man kann annehmen, dass alles, was in diesen Büchern steht, den „Segen“ von Square Enix bekommen hat, und darum auch Maiden who Travels the Planet als offizielle Erweiterung von Final Fantasy VII gelten kann.
Es bleibt dem Leser überlassen, einen für ihn (oder sie) plausiblen Schluss zu ziehen.