Cliff Resort war als Sanatorium für ShinRa-Angehörige in der Frühzeit des Konzerns entstanden. Es wurde geschlossen, nachdem sich herausstellte, daß die Mitarbeiter Aufenthalte an der See bevorzugten. Die Wohnungen, die sie nun bezogen, stammten noch aus dieser Zeit. Rufus, die vier Turks sowie Kilimister und Judd waren in zwei Autos hergefahren. Auch zahlreiche Kranke hatten sich bereits versammelt. Überwiegend handelte es sich um Kilmisters Patienten aus Kalm, die von den Turks hergebracht worden waren. Rufus gefiel das nicht. Tseng klärte ihn auf.
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Vor gut einer Woche war Kilmister plötzlich im ShinRa-Gebäude aufgetaucht und hatte nach den Turks verlangt. Reno und Rude hielten zu der Zeit Wache und nahmen den Mann in Empfang, nachdem er sagte, er habe Nachricht von Rufus ShinRa. In der Nachricht, die Kilmister bei sich hatte, lasen sie: Gebt dem Doktor alle Aufputschmittel, die ihr habt. Darauf konnten sie sich keinen Reim machen. Daher kamen ihnen Zweifel, ob Rufus dies wirklich geschrieben hatte. Also sagten sie Kilmister nur, er solle am nächsten Tag wiederkommen. Rude eilte dann zurück ins „Büro“, das die Turks in Sektor 5 eingerichtet hatten, um ihm die Botschaft zu zeigen, während Reno Kilmister observierte.
Tseng war ziemlich sicher, daß es die Handschrift des Präsidenten wäre, aber Zweifel blieben. Er gab Anweisung, dem Doktor zunächst nur einen kleinen Teil des Mittels zu überlassen und ihn außerdem zu verfolgen.
Reno folgte Kilmister bis Kalm. Dort hatte der Doktor ein kleines Lazarett für die Flüchtlinge errichtet, da alle anderen Ärzte geflohen waren. Die Leute waren überglücklich, ihn nach langer Zeit wiederzusehen. Sofort begehrten sei Heilung durch den Arzt. Als Reno beobachtete, wie erschöpft Kilmister bei der Behandlung wirkte, vermutete er, daß auch der Arzt längst infiziert war.
Als Kilmister am nächsten Tag zum ShinRa-Gebäude zurückkehrte, fand er am Haupteingang ein Paket mit den gewünschten Aufputschmitteln, das die Turks dort für ihn platziert hatten. Er öffnete das Paket, stellte sicher, daß es das richtige Mittel war, und verdünnte es mit Wasser aus einem Fläschchen. Dann setzte er sich, trank auf Ex, legte sich schließlich auf den Boden. Die Turks, die ihn dabei verdutzt ansahen, bat er um ein wenig Geduld, bis das Mittel wirken würde. Also warteten sie darauf, daß der einzige Mensch, der ihnen etwas über ihren Präsidenten sagen konnte, mit ihnen sprechen würde.
Nach einer Weile erhob Kilmister sich wieder. Er sah nunmehr deutlich besser aus. Kilmister gab den Turks nun Anweisungen, die Kiste aus Midgar herauszuschaffen. Er ging sogar soweit, Tseng nach einer geeigneten Anlage zu fragen, die er benutzen könnte. Ihm schwebte ein Ort vor, der ruhig und abgelegen von menschlichen Siedlungen läge, trotzdem nicht aufwändig zu erreichen sein würde, und wo es zudem möglich wäre, viele Patienten unterzubringen. Es war offensichtlich, daß er die Situation der Turks ausnutzte. Kilmister ergänzte, er wolle durch die Erforschung der rätselhaften Krankheit in die Geschichte eingehen. Als ihm bewußt wurde, daß die Turks ihm nicht trauten, berichtete er ihnen von Rufus. Da er ihnen detailliert die Verwundungen des Präsidenten schildern konnte, glaubten ihm die Turks endlich. Weiter führte er aus, wie er Rufus aus Kilmisters Villa gerettet hatte, und äußerte, daß die Turks ihm sehr dankbar zu sein hätten. Als sie ihn fragten, warum er ihnen nicht eher von alldem erzählt hätte, antwortete Kilmister, er habe erst die gute Seite in Rufus wecken wollen.
Tseng erinnerte sich an einen Ort namens Cliff Resort und er entschied, Kilmister dorthin zu bringen. Der Doktor war damit zufrieden. Er wies die Turks an, nun seine Patienten nach Cliff Resort zu bringen. Den Turks war es überhaupt nicht recht, von diesem Mann herumkommandiert zu werden, doch da er ihnen nicht verraten würde, wo sich der Präsident befand, solange nicht alles zu seiner Zufriedenheit verlaufen war, blieb ihnen keine Wahl, als den Doktor zu unterstützen. Schließlich erklärte er sich, offenbar zufrieden damit, wie die Turks nach seiner Pfeife tanzten, doch noch dazu bereit, sie zum Präsidenten zu führen.
Unterwegs hatte Reno den Doktor aus den Augen verloren. Eine Flutwelle hatte ihr Fortkommen behindert und der heftige Regen machte es unmöglich, den Wagen Kilmisters irgendwo zu entdecken. Um auszubügeln, daß sie wegen ihm beinahe zu spät gekommen wären, behauptete er später immer, er habe die Höhle nur aufgrund seiner überragenden fünf Sinne aufspüren können.
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Rufus verbrachte die nächste Zeit damit, einer der Patienten in Cliff Resort zu sein. Er nahm ebenfalls das Aufputschmittel zu sich, das nun allerdings Medizin hieß und sicherlich geeignet war, die Beschwerden zu lindern. An den Tagen, an denen das Fieber ihn verschonte, unterhielt er sich mit den Turks über die aktuelle Lage der Welt und paßte aufgrund dieser Informationen seine Pläne für die Zukunft an.
„Was ist der Mittelpunkt der neuen Stadt?“, wollte er einmal von Reno wissen.
„Ein Platz. Ein großer, runder und leerer Platz. Die Autobahn aus Midgar endet dort, und von ihm zweigen weitere große Straßen sternenförmig in alle Himmelsrichtungen aus. Darum nennt man diesen Platz den Mittelpunkt der Stadt.“
„Wenn das so ist, müssen wir dort etwas hinstellen. Wir sollten ein Monument errichten.“
„Ein Monument?“
„Mir schwebt da etwas Zweideutiges vor; vordergründig ein Monument, das daran erinnert, wie der Planet Meteor widerstanden hat.“
„Vordergründig? Woran soll es denn dann in Wahrheit erinnern?“
„Daß dieser Ort uns gehört.“
„Klar! Weil’s in der Mitte der Stadt steht, heißt das, daß ShinRa die Stadt gehört! Sie haben immer die besten Ideen, Chef“, lobte Reno.
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Immer noch fragte man nach der Verantwortung, die ShinRa an der Meteor-Katastrophe gehabt hatte, doch indem der Konzern bereitwillig seine Ressourcen wie Maschinen, Treibstoff und Medizin an die Leute verteilte, konnte etwas Vertrauen zurückgewonnen werden. Reeve, einer von ShinRas ehemaligen Angestellten, half ihnen mit weiteren Maschinen und Ingenieuren aus Junon bei der Errichtung der Stadt. Es wurde schnell klar, daß Reeve die Seiten gewechselt hatte, doch solange sich seine Ziele, die Gesellschaft wiederherzustellen, mit denen des Konzerns ergänzten, kam er ShinRa nicht in die Quere.
Reno sammelte einige Arbeiter um sich und begann mit ihnen den Bau des Monuments. Die meisten Leute freuten sich über dieses neue Bauwerk, weil es ein hoffnungsfrohes Symbol für die neue Stadt zu sein schien. Natürlich gab es auch einige, die protestierten, weil sie ShinRas Pläne durchschauten. Um diese Leute kümmerte man sich auf jene Weise, die Reno so gerne als „die Art, wie Turks Dinge erledigen“ bezeichnete.
In Cliff Resort kamen und gingen die Patienten, doch es waren heitere und friedliche Tage in dem Sanatorium. Bis es eines Tages Unruhe gab. Kilmister beschwerte sich darüber, daß die Medizin zu Neige ginge. Tatsächlich hatte Elena sich mit einigen Leuten aus der Stadt angefreundet und bei Rufus durchgesetzt, daß die Stadtbewohner ebenfalls mit der Medizin versorgt wurden. Aus diesem Grund waren ihre Vorräte schneller geschrumpft, als erwartet.
Rufus gab Anweisung, neue Medizin herzustellen. Er wollte dafür jene Laboranten aufspüren lassen, die früher die Produktion des Aufputschmittels sichergestellt hatten. Er wollte dazu ShinRas Anlagen reaktivieren, und falls nötig, Reeve um Hilfe bitten. Doch Kilmister war dagegen. Er wollte die Versorung von Cliff Resort sicherstellen, bevor er sich mit Außenstehenden einließ. Tseng und die Turks verabscheuten die Einmischung des Süchtigen in ihre Angelegenheiten, doch seltsamerweise legte Rufus gegenüber Kilmister eine Engelsgeduld an den Tag. Die Medizin wurde aus dem Schwanz des Nibel-Bären gewonnen. Ihre Forschung hatte ergeben, daß man mehr als eine Flasche voll Medizin aus jedem Schwanz gewinnen konnte, wenn man die Flüssigkeit hoch konzentrierte. Elena machte sich auf, die Rohstoffe zu besorgen.
„Hey, Rude“, rief Reno, der ungewöhnlich bedrückt wirkte. „Warum ist der Boß so nett zu diesem Kilmister?“
„Er wartet auf die Ergebnisse von Kilmisters Forschung. Das halte ich zumindest für den Grund.“
„Welche Forschung? Er verschwendet eine Menge Geld, um ein bißchen Schmerz zu lindern. Das würde sogar ich hinbekommen“, grummelte Reno.
„Ich habe eine gesunde Zell-Probe von mir beigesteuert. Er sollte bald etwas herausfinden.“
„Wir sollten diese Sache auch mal untersuchen. Ständig sind wir in Kontakt mit Infizierten, und trotzdem werden wir nicht krank. Seltsam, nicht?
„Der Boß sagt, es ist nicht ansteckend“, anwortete Reno, dabei er Reno leicht in den Bauch boxte. „Wie wär’s mit etwas Training? Wir sind schon aus der Übung.“
„Warum?“
„Um Körper und Geist zu stählen. Wenn wir beide stark sind, werden wir auch nicht krank.“
„Quatsch nicht wie ein alter Knacker“, gab Reno zur Antwort, indes er seine Kampfposition einnahm, und das Training begann.
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Die kleinen Teufel – so nannten einige der älteren Patienten Rufus und sein Gefolge. Einer sagte einmal, er verstehe nicht, wie sie so gut miteinander auskämen.
Das war auch dem Präsidenten ein Rätsel. Daß sich das Verhältnis der Turks zu einander und zu ihm durch nichts verschlechterte und daß sie trotz aller Widrigkeiten weiterhin zusammenarbeiteten, das war schon sehr erstaunlich. Außenstehende waren der Meinung, daß sie sich wie Kinder beim Spielen benähmen, und bloß so taten, als ob sie einen mächtigen Konzern repräsentierten. Kleine Kinder, die nicht nach Hause wollten, weil dort niemand Liebevolles auf sie wartete. Präziser: Heimatlose, verlassene Kinder, die nur noch aus diesem Spiel Freude ziehen konnten.
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Eines Tages, zwei Jahre nach jenem Schicksalstag, kam Rufus bei Kilmister vorbei.
„Nun, Herr Doktor? Ist es nicht an der Zeit, daß sie mir die Ergebnisse ihrer Forschung mitteilen? Ich brenne darauf zu erfahren, welche Verbindung zwischen meiner Krankheit und Jenova besteht.“
„Nun denn. Zunächst einmal muß ich gestehen, daß es in den letzten zwei Jahren keinerlei Fortschritte in Hinblick auf ein wirksames Medikament gegeben hat; gleichwohl konnte der schmerzstillende Effekt des Aufputschmittels verstärkt werden.“ Rufus verzog keine Miene. „Doch ich konnte mir ein präzises Urteil über die Ursache der Krankheit bilden.“
Kilmister erklärte Rufus, wie er den allersten Infizierten untersucht habe. Dieser Mann sei unmittelbar vom Lebensstrom erfaßt worden, der dann über ihn hinweggeflossen wäre.
„Es gibt auch ein typisches Symptom, das alle Patienten teilen: Sie haben den Lebensmut verloren, und sich bereits mit ihrem Tod abgefunden. Ich bin sicher, auch sie kennen dieses Gefühl, Herr Präsident.“
In der Tat.
„Unmittelbar nach der Katastrophe waren viele Menschen überzeugt, daß es keine Zukunft mehr gäbe und daß der Tod vor der Tür stünde. Danach gab es diesen wahnsinnigen Zuwachs der Infizierten. Außerdem…“
Kilmister sprach nun von dem schwarzen Wasser. Rufus erinnerte sich noch gut daran, wie das Wasser damals in der Höhle ein Eigenleben entwickelt hatte.
„Von denjenigen, die die Anzeichen der Krankheit zeigen, wurden viele durch das schwarze Wasser besudelt. Ich bin überzeugt, daß sie in dem Wasser untergetaucht sind und etwas davon geschluckt haben, vielleicht sogar davon getrunken haben, ohne es zu bemerken. Es ist schließlich nur Wasser. Wenn man es so betrachtet, könnten sie diese Substanz überall aufgenommen haben.“
Rufus horchte bei diesen Worten auf.
„Wie meinen Sie das?“
„Der Schmerz, und das Fieber zeigen uns, daß die Körper der Patienten eine körperfremde Substanz bekämpfen. Im Vergleich zu anderen Krankheiten scheint die Abwehr der Patienten nicht stark genug, es loszuwerden. Denn derjenige, der diese Substanz hervorgebracht hat, ist zweifellos mächtig. Wir können nichts tun, um ihr Leiden zu mildern.“
„Dann kennen Sie die wahre Ursache für die Krankheit?“
„Es sind Sephiroths Gene, oder man könnte auch sagen, daß es Jenovas Gene sind. Nein, eigentlich muß man davon sprechen, daß es sich um die Überbleibsel seiner Gene handelt. Wie ich Ihnen früher schon einmal sagte, die Zellstruktur der Kranken ähnelt jener von SOLDAT-Kämpfern.“
Rufus fröstelte beim Klang des Namens Sephiroth. In seinen Gedanken fand er sich in der Höhle wieder, eingeschlossen von der Flut, und umgeben von dem schwarzen Wasser.
„Herr Präsident, ich muß mir Jenova ansehen. Wo haben Sie es?“, wollte Kilmister wissen, der sich nicht um die Gefühle des anderen scherte.
„Bedauerlicherweise weiß auch ich nichts über den Aufenthaltsort.“
„Beauftragen Sie ihre Leute mit der Suche nach dem Wesen.“
„Darüber muß ich erst nachdenken.“
„Denken Sie nicht zu lange.“
Rufus nickte, und wandte sich um. Als er schon aus der Tür war, hob Kilmister noch einmal an. In seinem liebenwürdigen Plauderton erzählte er: „Vor langer Zeit wies Professor Hojo ein Projekt zurück, das ich angeregt hatte. Aber mir juckt es heute noch in den Fingern, diese Sache anzugehen. Ich bin überzeugt, daß wir gemeinsam etwas erschaffen können, das Sephiroth übertrifft.“
„Und die Heilung?“, wollte Rufus wissen, der dem Doktor weiter den Rücken kehrte.
„Wir müssen sowieso alle aufgeben, die bereits Symptome gezeigt haben. Aber jeder, der jetzt noch gesund ist, wird es auch bleiben, solange sich die Herzen der Menschen nicht umwölken. Erzählen Sie das ruhig den Leuten; aber lassen Sie den Teil über das schwarze Wasser weg. Das würde nur unnötige Panik verursachen.“
Rufus, der selbst schon Symptome gezeigt hatte, verließ den Raum schweigend.
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Am nächsten Morgen wurde Kilmister tot aufgefunden. Er war erschossen worden. Als Tseng noch die Leiche begutachtete, tauchte Judd auf, der gestand, den Doktor getötet zu haben.
„Woher hatten Sie die Waffe?“
„Das sage ich lieber nicht; derjenige, der mir die Waffe gab, rettete einst mein Leben.“
Tseng suchte sofort Rufus auf, um von dem Unglück zu berichten, doch Rufus schien nicht überrascht zu sein.
„Tseng, hören Sie.“
„Jawohl.“
„ShinRa wird Jenova finden und es sicherstellen.“
„… Jawohl.“
„Unser Ziel ist es, dieses Wesen sicher zu verwahren und niemanden Hand anlegen zu lassen, sei es nun ein verrückter Wissenschaftler, oder auch…“, Rufus erinnerte sich an Kilmisters Worte, „Überbleibsel, die im Lebensstrom herumschwirren .“
„Zu Befehl. Ich werde alles nötige veranlassen.“
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Rude und Reno überstrichen das Schild, das den Weg ins Sanatorium wies.
„Was soll denn ‚Healin‘ heißen?“
„Es bedeutet, daß wir die Welt heilen werden.“ Als sich die beiden nach der Stimme umdrehten, sahen sie Rufus, der sich angeschlichen hatte.
„Unsere Methoden sind rücksichtslos, aber was macht das schon. Wir sind ShinRa, das überrascht niemanden mehr.“
Rufus’ Stimme überschlug sich vor Begeisterung.
~ Ende von Shinras Geschichte ~
Fortsetzung folgt mit Geschichte des Lebensstroms…