Nanakis Geschichte: Kapitel 1

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»Oh, Gilligan bitte geh fort. Was bist du nur?«

Nanaki, alias Red XIII, sah zum Mond und heulte, während er versuchte, das pechschwarze Monster auszuspucken, welches sich in seinem Innersten eingenistet hatte. Sein Heulen hallte entlang der kalten Hochebene durch die Nacht. Die brennende Flamme an der Spitze seines schwungvollen Schwanzes erhellte das rote Fell, das seinen ganzen Körper bedeckte.

Nichts im Umkreis konnte auf Nanakis entferntes Heulen antworten. So war es immer gewesen, nur dieses Mal dachte er, es wäre ein Zeichen. Es war eines, welches ihm sagte, dass er dieses Problem höchstwahrscheinlich selbst lösen musste. Gilligan war in ihm und sein alleiniger Feind.
Gerade erst vor ein paar Tagen realisierte er die Existenz. Gilligan wurde nach Nanaki geboren – zumindest war das die Reihenfolge, in der es laut seiner Erinnerung passierte.

Nachdem die Reise mit Cloud und den Anderen – die Vernichtung Sephiroths und Rettung des Planeten – vorbei war, kehrte Nanaki zum Cosmo Canyon zurück. Die Menschen des Tals begrüßten wärmstens die Rückkehr von Nanaki – welcher half, den Kampf zu beenden – und sie hörten den Geschichten seiner Reisen mit tiefstem Interesse zu. Nanaki war mit Stolz erfüllt.
Dann ging er seinen Vater besuchen – den tapferen Krieger, der den Gi-Stamm bekämpfte und nun versteinert über das Tal wachend dastand.

»Vater, du und Mutter, ihr wart gute Krieger, die über dieses Tal wachten. Deshalb versuchte auch ich es zu beschützen, genauso wie ihr es tatet. Und ich denke ich habe es geschafft. Darum will ich wieder auf Reisen gehen, Vater. Dieses Mal wird es nicht ums Kämpfen gehen. Ich will das Leben auf dieser Welt sehen. Die Geburt von Chocobos, sterbende Bäume und hm – ich weiß noch nicht was sonst, aber ich will alle möglichen Dinge sehen, wirklich alles. Opa hat es gesagt. Er sagte mir, dass es mein Auftrag ist, weiterhin solche Dinge zu beobachten, mir alles zu merken und meinen Nachkommen alles darüber zu erzählen. Oh und…«

Nanaki überlegte und fuhr mit seinem Blick über seinen Vater, die versteinerten Augen und Ohren

»Ich werde auch dir alles erzählen, Vater. Ja, das werde ich machen.«

Danach erzählte er ebendies auch den Menschen aus dem Tal. Dass er den letzten Worten seines verstorbenen Großvaters Bugenhagen folgen werde und dass er »Die Reise, die Welt zu erfassen« zu seinem neuen Auftrag macht. Sie alle ermutigten ihn, indem sie sagten, wie bedeutsam es sein wird. Und sie beruhigten ihn damit, dass sie immer für ihn da sein werden und ihn begleiten.

Beim Verlassen des Dorfes durch die Hochebene schaute Nanaki zurück, während er einen steilen Pfad hinab lief. Die Menschen aus dem Tal winkten ihm immer noch zu. Um ihnen zu antworten, lehnte er sich zurück, erhob seine Vorderbeine, nahm den Kopf hoch in die Luft und heulte.

»Lebt wohl. Ich werde zurückkommen. Passt auf euch auf.« Und so rannte er den Rest des Pfades in einem einzigen Atemzug hinab.

Bald kam er an einem Fels an. Es war der Punkt, an dem er anhielt und zurückschaute, wann immer er das Dorf verließ. Nach Verlassen dieses Punktes war das Dorf außer Sichtweite. Genau wie zu alten Zeiten schaute er auch jetzt zurück – aber er konnte es nicht sehen. Ein gigantischer Felsbrocken, von dem er sich sicher war, dass er vorher nicht dort war, versperrte seine Sicht.

»Ah stimmt«, dachte Nanaki im Stillen. »Der Lebensstrom kam hier entlang. Das muss verursacht haben, dass der Felsbrocken von irgendwo herunterfiel. Auf dem Weg hierher fiel mir auf, dass sich die Geografie an vielen Orten geändert hat.«

Zumindest fand er, als er die nähere Umgebung untersuchte, Schichten von Gestein und Teile, die sich einst aus Felsvorsprüngen herausstreckten und nun eingestürzt waren.

»Da kann man nichts machen«, dachte Nanaki. Die Veränderungen haben niemanden gestört. Verglichen mit Midgars Wiederaufbau und seinen zerstörten Stadtteilen war das gar nichts.

Nanaki sprang von einem kleinen Felsen und ging weiter. Er war vorsichtig auf seinen Pfoten unterwegs. Er ging einen Schritt. Dann einen weiteren. Dann bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Es hatte nichts mit seiner Umgebung zu tun, jedoch mit seinem Körper – Nein, mit seinem Herzen. Nanaki stand still und schloss seine Augen. Er schaute tief in sein Herz.

»Da ist es. Das muss es sein. Wie soll man das beschreiben«, dachte Nanaki. Dies war die Art wie Nanaki Sachen betrachtete und zu verstehen versuchte. »Es ist – Pechschwarz.«

Es war, als wenn sich ein Loch inmitten seines Herzens geöffnet hatte. Nein es war kein Loch. Es war wie eine schwarze „Gedankenseele“ die dort saß. Irgendetwas war sehr fest an sein Herz gebunden. Schon bald konnte er fühlen, wie es anfing, heftig zu vibrieren. Er glaubte, es würde die Form verändern.

»Ich frage mich, in was es sich verwandelt« – Gerade als ihm dieser Gedanke kam, erzitterte er vor Angst am ganzen Körper.

»…«

Er schauderte so sehr, dass er keinen Ton heraus bekam. Nanaki musste die Zähne zusammenbeißen um es zu ertragen. Nein, er konnte es nicht aushalten. Er atmete tief aus, drehte sich um und rannte mit einem Sprung über die Klippe zurück zum Dorf.

Die Menschen aus dem Tal waren überrascht, Nanaki so schnell nach seinem Abschied schon wieder zu sehen und versammelten sich.

»Was ist los, Nanaki?«

»Hm…«, fing er an. Er wusste, dass die schwarze Seele verschwunden war.
»Sag nicht, dass du schon Heimweh hast,« stichelte ihn jemand. Die anderen lachten.

»Ja, das könnte sein.«

»Nanaki, du musst standhaft bleiben! Sonst bist du kein tapferer Krieger!«

»Ja, ihr habt recht.«

Nanaki redete noch für eine Weile mit den Menschen des Dorfes. Dann verabschiedete er sich abermals und begann seine Reise. Er hätte einen anderen Weg einschlagen können, aber er forderte sich selbst heraus, wieder denselben Pfad hinunter zu gehen. Er dachte das wäre notwendig, um sich zu vergewissern, ob der Grund für die gefühlte Angst eben dort lag. Es passierte jedoch nichts.

Nanaki gab dem „Etwas“, das so plötzlich erschienen war und ihn mit Angst erfüllte, einen Namen: „Gilligan“.

Der Name hatte keine besondere Bedeutung, aber er würde es durch die Vergabe eines Namens zumindest nichts so schnell vergessen. Namen erinnerten ihn an verschiedene Sachen. Und so kam es, dass Nanaki dieses Gilligan während seiner Reise wachsen ließ.
Manchmal, wenn er sich daran erinnerte, fragte er sich, was es wirklich war, aber immer wenn er das tat packte ihn die Angst. Bis er sich damit in Ruhe befassen konnte, wollte er es erst einmal lassen.

Beim Verlassen des Cosmo Canyon machte Nanaki einen groben Plan seiner Reise. Als erstes wird er nach Westen gehen, wo Yuffies Heimatort Wutai liegt und dann herumreisen um die langen schmalen Inseln südlich und nördlich zu sehen.
Danach geht es nach Osten.
Auf dem großen Kontinent liegt Rocket Town, wo Cid lebt, Barrets Heimatdorf Corel sowie Nibelheim, das Dorf in dem Tifa und Cloud aufgewachsen sind.
Das nächste Ziel ist dann der Norden.
Er dachte auch darüber nach, unbewohnte Gebiete sowie alle Ecken und Winkel zu bereisen.
Das würde viel Zeit in Anspruch nehmen, doch darüber machte sich Nanaki überhaupt keine Sorgen. Was für eine Bedeutung sollte es für Nanaki haben, dessen Rasse eine Lebensspanne von fünfhundert oder sogar tausend Jahren hat – viel mehr als ein Mensch je altern könnte.

»Ich darf nicht unvorsichtig sein. Ich werde immerhin viel länger leben als alle anderen.«

Wutai war also sein nächstes Ziel. Wenn möglich, wollte er Yuffie besuchen. Sie kam immer zu ihm und behandelte ihn, als sei er ihr Haustier, aber Nanaki fasste dies als ihre Art auf, freundlich zu ihm zu sein.

»Es ist einfach, Yuffie zu durchschauen«, dachte Nanaki.

Umgeben von älteren Mitstreitern würde Yuffie immer eine Herausforderung in ihnen sehen. Abgesehen davon, dass sie zusammen kämpften, beharrte sie auch sonst darauf, dass der Altersunterschied keine Rolle spielte. Nanaki verstand ihre Gefühle sehr gut. Sie bezog sich wahrscheinlich auf das geistige Alter.
Jedenfalls hatte er sehr gemischte Gefühle wenn es darum ging, Yuffies fünfzehn oder sechzehn Jahre altes Verhalten falsch zu verstehen, selbst wenn er dachte, dass er doch schon fast 50 Jahre alt war. Aber da sich der Mensch anders entwickelt als er, musste er einfach aufgeben, sie in dem Punkt zu verstehen.

Als Nanaki in die Nähe von Wutai kam, sah er zufällig Yuffie. Um sich einen Spaß zu erlauben, wollte er sie erschrecken, indem er so tat, als würde sie angegriffen werden. Als er sie jedoch vom Plateau aus betrachtete, sah es nicht so aus, als wäre es ein guter Zeitpunkt für so etwas. Mit dem Rücken nach Wutai gerichtet, zog sie einen Jungen ihres Alters an seinen Knöcheln.

»Das macht sie sicher schon seit einiger Zeit.«

Eine lange Spur war hinter dem Jungen ins grasbedeckte Feld gezogen worden. Er wusste nicht, ob der Junge noch am Leben war, aber Yuffie sprach verzweifelt zu ihm. Nach kurzer Zeit stoppte Yuffie. Gerade als Nanaki dachte, sie würde eine Pause einlegen, hob sie den Jungen hoch und versuchte ihn irgendwie auf ihren Rücken zu bekommen. Allerdings war Yuffie nicht so stark und es sah so aus, als hätte sie einige Schwierigkeiten.

»Es hilft wohl nichts«, sagte Nanaki ins Nichts und lief zu Yuffie.

Das Gefühl, jemandem zu helfen, der keine Hilfe vermuten würde, war gar nicht so schlecht. Nanaki schlich leise in Richtung Yuffie, welche ihn noch nicht bemerkte, und fragte:

»Kann ich irgendwie helfen?«

Yuffies Freund war ein Junge namens Yuri, der sich in Midgar plötzlich eine Krankheit eingefangen hat. Es war eine entsetzliche Krankheit, bei der ihm eine schwarze Substanz am Bein entlang floss. Es sah aus, als sei er kurz vorm Sterben. Neben den Reparaturen der beschädigten Stadtteile Midgars war diese Krankheit ein viel größeres Problem. Nanaki hatte gehört, dass es ansteckend war aber Yuffie ging mit Yuri so um, als wenn es ihr egal wäre.
Er fing an, sich Sorgen zu machen.

»Daran hätte sie vielleicht denken sollen.« Als er allerdings mit ihr darüber sprach, sagte sie, sie wusste schon, dass die Krankheit wahrscheinlich ansteckend ist.
»Was soll dieser Leichtsinn? Nein halt«, begriff Nanaki, »Es ist kein Leichtsinn. Es ist Güte. Yuffie… Ich weiß nicht wie nahe sie sich stehen aber… sie konnte ihren Freund nicht einfach aufgeben.«

Seine Gedanken wandelten sich zu Hass gegen Yuri. Er konnte einfach nicht verstehen, wie Yuffie so gütig sein konnte, wenn sie doch wusste, dass die Gefahr einer Infektion bestand.

»Irgendwie macht mich das wütend.«

Jedoch konnte Nanaki nichts tun. Schließlich war es Yuffies Freund. Aber als Yuffie davon sprach, die Krankheit mit Materia zu heilen, sagte er ihr – als ob er sich rächen wollte – geradeheraus, dass das nicht ginge.
Yuffie war sauer. Das hatte er erwartet.
Jedoch hätte er nie mit der Trauer in ihren Augen gerechnet.
Nanaki bereute und bedauerte zutiefst, was er gerade zu ihr sagte.

Schon bald erreichten sie Wutai und blieben dort einige Tage. Yuffie fing an, sich um die Patienten zu kümmern, die dort unter Quarantäne gestellt wurden. Nanaki half wann immer es ihm aufgetragen wurde, aber eigentlich beobachtete er die Krankheit. Er dachte, es wäre gut, auch dies in Erinnerung zu behalten. Es war Teil des Lebens.

»Hey du. Ist es wahr dass du sprechen kannst?«, fragte einer der Patienten.

»Das ist seltsam. Warum sollte ShinRa etwas wie ihn erschaffen? Sie müssen einen Fehler gemacht haben, denn sie gaben ihm ein Herz. Findest du nicht es wäre besser gewesen, wenn sie irgendwas für die Menschheit gemacht hätten?«

»Hm…« In dem Moment war es Nanaki klar.
Er realisierte, dass die Gabe, dieselben Gefühle und Gedanken wie die meisten Menschen zu haben, ihm sicherlich erlauben würde, sie zu verstehen. Es war sein Auftrag, den Menschen in der Zukunft wissen zu lassen, wie sich die Menschheit entwickelt hat.

»Jetzt habe ich wieder etwas gelernt«, dachte Nanaki.

Nanaki wäre gerne länger bei Yuffie und den Patienten in Wutai geblieben um die dortige Situation zu überwachen, jedoch befahl Yuffie ihm, weitere Informationen über die Krankheit zu sammeln. Und so brache er auf ließ Wutai hinter sich.

Als Nanaki gerade eine Vertiefung entlang ging, die die Sicht nach Wutai versperren würde, drehte er sich um und starrte Richtung Dorf. Er war sich sicher, er wäre in der Lage Yuffies Gestalt zu erkennen, wie sie in der kleinen Hütte vor dem Dorf arbeitete. Aber es sah so aus, als wäre er weiter entlang der Vertiefung gegangen, als er dachte.

»Na ja. Ich muss wohl irgendwann noch mal herkommen«, dachte Nanaki, und genau in diesem Augenblick konnte er einen plötzlichen Stoß in seinem Herzen spüren.
Gilligan.
Es war wieder da. Dieses Mal konzentrierte sich Nanaki auf Gilligan, um dessen wahre Identität herauszufinden.

Die Schwarze Seele vibrierte und nach kurzer Zeit trieb etwas an seine Oberfläche. Es waren die Gesichter der Menschen aus dem Cosmo Canyon. Ihre Gesichter sahen friedlich aus, aber schon bald verschwanden sie, als wären sie zurück unter die schwarze Oberfläche gesaugt worden.

»Diese Gesichter gerade…hä?«

Als er bemerkte, dass er sich nicht mehr an ihre Namen erinnern konnte, zitterte er am ganzen Körper. Das Zittern war so heftig, dass er nicht mehr stehen konnte und sich hinlegen musste.

»Erinnere dich, erinnere dich an ihre Namen«, ermutigte er sich selbst.

Nicht lange danach trieb auch Yuffies Gesicht zur Oberfläche der schwarzen Seele. Sie sah gelassen aus, aber ihr Ausdruck war einer, den er noch nie vorher gesehen hatte. Auch ihr Gesicht verschwand dann wie zurückgesaugt in dem schwarzen Meer. Plötzlich war das Bild des Todes an der Oberfläche zu sehen. Würden die Menschen aus dem Tal etwa sterben?
Die Furcht packte ihn.

»Helft mir!«

Nanaki lag zusammengekauert und zitternd auf den Boden, als er die Sterne um Hilfe rief. Gerade als er nach Yuffie rufen wollte, verschwand Gilligan. Nanaki mühte sich, wieder aufzustehen und schaute sich um. Er rannte die Vertiefung zurück und sah Wutai. Er sah sogar Yuffie, wie sie dort arbeitete.

»Irgendwann wird Yuffie alt sein und sterben. Und unter den Menschen aus dem Tal sind noch viele Ältere, die noch eher verschwinden werden als sie.« Es war schon traurig, nur daran zu denken. Als er bittere Tränen vergoss war klar, dass es lange brauchen würde, sich wieder zu beruhigen. Aber warum hat Gilligan Angst in ihm hervorgerufen, als es ihm den Tod zeigte?

»Ist Gilligans wahre Form die Angst die ich fühle, wenn alle um mich herum sterben?«

Nanaki schüttelte den Kopf und versuchte, diese Idee aus seinen Gedanken zu bekommen. »Eines Tages wird der Zeitpunkt kommen, aber trotzdem will ich nicht über den Tod meiner Freunde nachdenken«, sagte er zu sich selbst.

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