Kapitel 2

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Aeris wusste, dass sich Raum und Zeit in dieser Welt aus Mako anders verhielten.

Die Zeit schien langsam zu fließen, aber wenn Aeris es wollte, konnte sie mit einem Augenschlag im Nu vergehen. Die Zeit hatte keine besondere Bedeutung in dem Mako. Die Geschichte des Planeten war nur eine Anhäufung von Erinnerungen, sie waren alle miteinander verschmolzen und ständig an ihrer Seite. Dort gab es Erinnerungen aus der Gegenwart, aber auch aus der Vergangenheit. Es gab keinen Weg für Aeris um sie alle zu sehen, aber die Ereignisse, die in den Erinnerungen beschrieben wurden, haben die Zeit überstanden und waren miteinander verbunden. Dies deutete an, dass sich die Zeit weiter in die Zukunft bewegte, in die Welt der Lebenden. Wenn sich neue Erinnerungen von der Oberfläche mit dem Planeten verbunden, konnte durch die Energie neues Leben in die Welt gebracht werden. Dieser Kreislauf zeigte ihr, wie die Zeit in vielen Zeitspannen immer weiter fließt.

Alles war durch den Lebensstrom mit dem Innenleben des Planeten verbunden. Selbst an die Oberfläche, und die am weitesten entfernten Orte, wurde der Energiefluss gebracht. Andrerseits gab es Orte, an die, obwohl sie so nah waren, keine Energie gelangte. Es existierten Gebiete, die selbst der sich windende Strom aus Mako nicht erreichen konnte. Aeris dachte, dass daran die vielen Mako-Reaktoren Schuld sein müssten. Die Energie war niemals für so einen Zweck bestimmt, und wenn sie sie weiter gewaltsam heraussaugen würden, könnte es vielleicht die Balance zerstören. Wenn der Planet den Menschen irgendwie ein einfacheres Leben bereiten könnte, hätte er es auch getan. Aber Shinra Inc. gingen einfach zu weit. Wenn sie wegen ihrer Gier weitermachten, würde das Gleichgewicht des gesamten Lebens auf dem Planeten zusammenbrechen… Aeris erinnerte sich, wie in Midgar nur in der Kirche Blumen blühen konnten und dass die ganze Stadt von Mako durchnässt war.

„Und deshalb wollten die Leute von Shinra wissen, wo das versprochene Land ist. Ein Land mit einem Überfluss an Mako, von dem nur die Cetra wissen wo es liegt… Aber dieser Ort ist hier. Es ist der Platz, den jeder erreicht, wenn er zum Planeten zurückkehrt. Das Land, in dem Shinra all diese Energie bekommen könnte, existierte niemals. Es war alles ein großer Fehler.“

Sie murmelte vor sich hin, während sie sich durch den Lebensstrom treiben ließ. Sie beobachtete die fließende Welt aus Mako, die sich nur wenig veränderte.

„Das versprochene Land, das sich Sephirot vorstellte, war ganz anders. Er wollte es mit Gewalt erschaffen. Er wollte den Planeten vorsätzlich verletzen, damit sich fast die ganze Energie an einem Punkt sammelt. So dass er allein sie kontrollieren könnte. Das war das versprochene Land, das Sephirot haben wollte…“

Aeris zitterte, als sie sich vorstellte, wie der Planet dann aussehen würde.

„Ich hoffe Cloud und den Anderen geht es gut… Hoffentlich überfordern sich Tifa und Cloud nicht zu sehr bei Sephirots Verfolgung.“

„…Cloud? Tifa? Barret?“

Die Welle eines Geistes direkt neben ihr breitete sich aus, als es ihre Worte hörte. Sie stürmte aus dem Strom, in dem sie sich befand, denn sie hatte noch nie einen gefestigten Geist außer sich selbst entdeckt. Als sie den Platz wieder erreichte, wo es herkam, stieg ein Schatten aus dem Mako auf. Es war nicht so deutlich zu erkennen wie Aeris, aber sie erkannte dass es die Überreste einer Frau waren.

„Du kennst sie? Wer bist du?“

„Ich bin…“

Es schien als wären ihre Erinnerungen etwas durcheinander. Das kam bestimmt, weil ihre Seele schon zum Teil mit dem Mako verschmolzen war. Aber ihr Kern hatte sich noch nicht aufgelöst und trieb noch als Ganzes umher.

„Oh, ich muss mich erstmal vorstellen. Ich bin Aeris. Könntest du vielleicht ein Mitglied von Avalanche sein?“

„Avalanche… Ja, ja das stimmt.“

Ihre Erinnerungen wurden von dem See aus Mako wieder aufgebaut. Als sie wieder wusste wer sie ist, bekam ihr Äußeres schnell wieder die gleiche Form, die sie an der Oberfläche gehabt hatte. Als ob Aeris einen Einfluss darauf hätte, bekam sie auch wieder Farbe.

Verglichen mit Aeris war sie immer noch ziemlich matt, aber sie sah nun menschlich aus, und auch die Kleidung die sie getragen hatte tauchte wieder auf. Ihre Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden, damit sie ihr nicht in die Quere kamen, und ihre Kleidung sah aus wie die eines Soldaten. Auch sie war viel zu früh hier gelandet und hatte in etwa Aeris’ Alter.

„Wie dumm von mir das zu vergessen… Ich bin Jesse von Avalanche. Hey… und du bist Fräulein Aeris?“

„Du kannst mich Aeris nennen.“

„Danke, Aeris. Du kennst doch Cloud, Tifa und Barret? Wie geht es ihnen? Bekämpfen sie immer noch Shinra? Oh…“

Jesse schüttelte ihren Kopf als wollte sie sich entschuldigen. „Du musst ja das gleiche sein wie ich wenn du hier bist.“

„Mach’ dir keine Sorgen. Ich bin mir sicher, es geht ihnen gut.“

Sie versuchte, nicht an Cloud zu denken. Hier konnte sie nicht lügen, deshalb versuchte sie erst gar nicht an ihn zu denken.

„Es gibt etwas, das Barret schon lange gequält hat. Zu der Zeit bist du gestorben… Du warst eine der Mitglieder von Avalanche die versucht haben, die Stütze von Sektor Sieben zu beschützen. Ich hatte bis dahin nur Herrn Wedge kennen gelernt…“

„Wedge?!“
Jesses Augen weiteten sich.
„Ja, und Biggs! Wir kamen alle drei hier zusammen an, aber wir haben uns aus den Augen verloren… Ja, bis gerade eben konnte ich mich an nichts erinnern. Bis ich dich traf, Aeris.“

Als ob sie von Jesses Erinnerungen angezogen wurden, erschienen zwei weitere Gestalten. Die Formen eines Mannes mit einem schmalen Bärtchen und eines anderen mit einem dickeren Körper formten sich schnell zusammen.

„Wo – woah!“

Der Mann mit dem Bart, Biggs, starrte auf seine Handflächen. „Ich bin immer noch ich! Ich dachte, ich würde verschwinden.“

„Ich bin so froh euch beide wieder zu sehen! Und… du bist das Mädchen, das mich damals verarztet hat! Fräulein… Aeris? Bist du auch gestorben?“

Statt die offensichtliche Antwort zu geben, nickte Aeris nur lächelnd.

„Es ist lange her, Herr Wedge. Schön sie zu sehen, Herr Biggs. Mit der Zeit wurde ich auch ein Mitglied von Avalanche, das macht mich irgendwie zu einer Art Schülerin von euch.“

„Mmmhh, da sieht man mal wie hoch die Sterberate von Avalanche-Mitgliedern ist.“

„Stolziert Barret immer noch so umher? Naja, er ist trotzdem liebenswert.“

„Schülerin? Das macht mich glücklich! Ich wollte schon immer mein Wissen weitergeben.“

Anschließend erzählte Aeris den dreien, für was Avalanche nun kämpfte. Es war nicht mehr nur Shinra, sondern auch der noch viel gefährlichere Sephirot… Sie hatten Midgar verlassen um sein Streben nach dem Planeten zu stoppen.

„Also ist Cloud einer von uns geworden… das ist schön.“

„Hehe… er ist ein kalter Kerl, aber ich wusste, dass er uns beitritt.“

„Heißt das, Cloud ist jetzt auch ein Schüler von uns? Damit wird er wohl nicht umgehen können…“

Es herrschte eine große Aufregung zwischen den Phantomen der drei Avalanche-Mitglieder, wie sie dort lachten und lächelten. Aber trotzdem bemerkte Aeris ihre Traurigkeit. Tiefe Gewissensbisse verbanden sie.

„Was ist los? Ihr seht alle so wehleidig aus…“

„Tja… das ist wegen der Art, auf die unsere Leben endeten. Wir können für nichts mehr büßen.“

Jesse schaute traurig herab als Biggs weiter redete.

„Wir haben mit Avalanche gekämpft, weil wir die gleichen Gedanken und Gefühle hatten. Wir dachten, dass wir Opfer in Kauf nehmen müssten um Shinra zu stoppen. Aber das war vollkommen falsch. Das verstanden wir, als wir hier ankamen… Du hast auch davon gehört Aeris, oder? Die Explosion des Reaktors im ersten Sektor?“

„Ja… der erste Sektor war etwas entfernt von den Slums, in denen ich gelebt hatte. Wir haben nicht viel davon mitgekriegt, aber es hieß, es wären viele Menschen gestorben.“

Zu der Zeit dachten wir, sie hätten es alle verdient bei der Explosion zu sterben, weil sie alle bei Shinra arbeiteten und auf der oberen Plattform lebten. Aber am Ende landen wir alle hier, egal ob wir bei Shinra arbeiteten oder nicht. Also haben wir darüber nachgedacht, warum wir es getan haben. Alles was wir getan haben, war unsere Stimme erheben und unsere Meinung rausschreien wie Betrunkene. Wir haben völlig übertrieben, wir würden den Planeten retten…“

„…Ich habe damals auch nicht viel darüber nachgedacht. Ich wollte einfach keine untergeordnete Rolle. Ich wollte glänzen. Also dachte ich, indem ich Avalanche beitrete kann ich ein Held sein, der die Zukunft und den Planeten rettet, das war alles woran ich dachte… Ich habe nie darüber nachgedacht, dass auch andere da mit hineingezogen werden. Ich war so dumm…“

Wedge senkte beschämt seinen Kopf.

„Der ganze Plan wurde von dem alten Avalanche entworfen, aber das existiert nun nicht mehr.“

Jesse erzählte mit Bedauern weiter, „Damals gab es viel mehr Mitglieder bei Avalanche, und sie waren eine ziemlich extreme Gruppe. Wir haben nur den Namen ihrer Widerstandsgruppe übernommen, von den Leuten die nicht mehr länger dabei waren. Sie hinterließen auf dem Computer noch genaue Pläne wie man eine Bombe baut und wo man sie einsetzen muss. Weil ich mich gut mit Bomben und Maschinen auskannte, wollte ich es ausprobieren… aber ich bin mir sicher, die Pläne waren nie dafür gedacht um den Mako-Reaktor Eins außer Betrieb zu setzen. Die Menschen, die sich diesen fürchterlichen Plan ausgedacht hatten, hassten Shinra. Sie hassten sie so sehr, dass sie dafür eine Menge Unschuldige opfern würden… Ich hätte das sehen müssen. Barret wusste nichts davon.“

„Deshalb wollten wir…“

Niedergeschlagen schaute Biggs in den Himmel. „Deshalb wollten wir sofort mit dem Planeten verschmelzen. Wir wollten verschwinden. Ich erinnere mich. Aber es war nicht möglich. Barret kämpft, um mehr Menschen zu retten. Aber wir können nichts tun um unsere Sünden zu begleichen. Wir können nur hier sein und weiter leiden.“

„Schließlich wäre es für uns zu einfach gewesen zu vergessen wer wir sind um es hier bequemer zu haben.“

„Es hat einfach nicht funktioniert. Wenn wir die Chance dazu hätten, würden wir alles rückgängig machen. Selbst wenn wir dann immer noch kein so reiner Geist wie du wären. Es ist wie ein Fluch.“

Sie lachten alle selbstspöttisch, bis es in einem Seufzen endete.

„Aber… Aber.“

Aeris versuchte sie mit ihren Worten aufzumuntern.

„Jeder hat Fehler gemacht. Ich habe gedankenlos Blumen verkauft, nur um damit Geld zu machen…“

„Hmmmm… also damit kannst du meine Dummheit wirklich nicht vergleichen.“

„Aber ihr alle habt doch so gelitten…“

„Danke, Aeris. Aber als ein altes Mitglied von Avalanche schäme ich mich für die Geschichte.“

„Ich kann mir selbst einfach nicht vergeben. Deswegen bin ich noch hier.“

„Eines Tages werden auch wir zum Planeten zurückkehren können, aber jetzt ist es noch nicht soweit. Geh’ jetzt, Aeris. In deiner Form musst du bestimmt eine gewisse Rolle erfüllen. Und wir haben Angst, unsere sündenreichen Erinnerungen könnten sich auf dich übertragen.“

„Nein…“

„Und dann müssten wir noch mehr leiden. Würdest du also bitte gehen?“

Jesse log. Aeris wusste, dass sie sie so weit weg wie möglich haben wollte, damit sie ihren Schmerz nicht teilen muss.

Die Umrisse der drei Personen verschwanden. Aeris biss sich auf die Unterlippe, während Tränen in ihr aufstiegen.

„Bitte lasst mich noch etwas sagen. An diesem einen Tag konnten viele Menschen fliehen, weil ihr hart gearbeitet habt um die Säule von Sektor Sieben zu beschützen. Ich bin mir sicher, die Anzahl der Menschen, die ihr an diesem Tag gerettet habt ist viel größer als die derer, die in Sektor Eins gestorben sind… und durch euch konnte ich Marlene retten. Vielleicht ist das nicht genug um euch alle zu erlösen, und ich weiß auch dass Menschenleben nichts sind, womit man addiert und subtrahiert, aber… Bitte denkt daran, dass ihr nicht nur Sünde in euch tragt.“

„…Danke. Danke, Aeris.“

Die Stimme von jemandem, der nicht länger wusste wer er war, hallte wider, während sie zurück in das Gefängnis verschwanden, dass sie sich selbst ausgesucht hatten. Sie sanken in den See aus Mako.

Aeris wischte sich die Tränen aus den Augen und ging weiter. Sie betete dafür, dass die Seelen der alten Avalanche-Mitglieder endlich ihren Frieden finden würden.

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