Kapitel 3

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Aeris wusste nicht, wie viel Zeit an der Oberfläche schon vergangen war. Ist es Tage her, dass sie Jesse und die andern traf, oder waren es nur wenige Momente?

Sie überlegte, ob ihr Schmerz wohl irgendwann von allein aufhören würde. Während sie sich das fragte, wanderte sie weiter durch die Unterwelt. Sie ließ sich von dem Lebensstrom in den See aus Mako treiben.

Ihr Atem stand still, als sie das nächste Phantom entdeckte.

Die Spitze eines Rohrs aus Stahl tauchte in einem Strudel aus schwachem Licht auf. Als sie bemerkte, dass es sich um eine künstliche Hand an einem Arm handelte, dachte sie, dass Barret die Welt der Lebenden verlassen hätte. Ihr Herz zog sich zusammen als sie an Marlene dachte.

„Marlene…!“

Aeris’ Wellen aus Gedanken breiteten sich aus, bis sie das Phantom erreichten. Der volle Umriss eines Mannes mit einem Gewehr als Arm tauchte in dem Mako auf. Von der Waffe, die sich an seinem linken Arm befand, ging ein kühles Leuchten aus. Das Gewehr war Furcht einflößend, als ob es wirklich existieren würde, und der Mann war voller roter Flecken.

„Sie sind…“

„…Wo habe ich dich schon einmal gesehen? Und woher kennst du Marlenes Namen?“

„Wir haben uns einmal getroffen, Herr Dyne.“

Er war Dyne, der Führer des Corel Gefängnisses, einem verbannten Ort voller Sand und Schrott. Außerdem war er einmal Barrets bester Freund gewesen. Nach dem, was Shinra seiner Heimatstadt angetan hatte, war er aus Verzweiflung in einen Wahnzustand gefallen, in dem er viele Menschen ermordet hatte.

„Ah, jetzt weiß ich. Du bist das Mädchen, das bei Barret war. Das heißt also, dass du auch tot bist. Wie schade.“

Dyne lachte, weil er seinen Augen nicht trauen konnte. „Ich kann nicht glauben, dass ich nach meinem Tod an dem gleichen Ort lande wie so ein unschuldiges Mädchen, obwohl ich so viele Menschen tötete. Diese Welt ist wirklich absurd. Was für ein langweiliger Planet das ist. Man sollte wirklich einfach alles zerstören.“

„Glaubst du das wirklich?“

Aeris’ Gestalt stand gegenüber von Dyne. Sie hob ihre schmalen Augenbrauen.

„Aber du sorgst dich wirklich um Marlene.“

„Wen interessiert das schon? Mädchen, du…“

„Ich bin Aeris.“

„He he he… du bist mutig. Mein linker Arm ist das einzige, was mir aus meinem alten Leben erhalten geblieben ist. Schön. Dann nenne ich dich halt bei deinem Namen. Du hast gehört, was ich damals sagte, oder? Das, was ich mit Barret besprochen habe. Als ich versuchte, alles zu zerstören, wollte ich Marlene mit mir hierhin nehmen.“

„Du lügst. Du hast nur geblufft.“

„Hier kann man nicht lügen, oder? Ich habe mir das damals wirklich überlegt. Dann habe ich Barret zu einem Kampf auf Leben und Tod herausgefordert, und so wurde ich erleuchtet.“

Für eine Weile musste Dyne laut lachen. „Und ich danke Barret dafür. Am Ende wurde ich von der Welt verschluckt, die ich zerstören wollte. Ich wollte nicht mein eigenes Leben beenden. Also habe ich stattdessen all diese nutzlosen Menschen glücklich gemacht, die verängstigt in dem Gefängnis saßen.“

„…“

„Siehst du es jetzt, Aeris? Vor dir steht die hilflose, gebrochene Erscheinung eines Mannes, der noch nicht einmal von dem Planeten akzeptiert wird. Der Planet, zu dem schon meine Frau Eleanor schon zurückgekehrt war. Und Marlene habe ich schon Barret anvertraut. Was immer jetzt mit dem Planeten passiert, hat nichts mehr mit mir zu tun.“

„…“

Als er sah wie still Aeris plötzlich geworden war, musste er wieder lachen über die Weise in der er das freche Mädchen zurückgewiesen hatte. Doch dann bemerkte er, dass es gar nicht lustig war, und dass Aeris nie die Augen von ihm abgewendet hatte. Und er realisierte, dass er sie gar nicht zum Schweigen gebracht hatte. Da war ein Glühen in ihren grünen Augen, das ihn wahnsinnig machte.

„…Du hast keinen Mut.“

„Was hast du gesagt?“

„Ich wiederhole es. Du hast keinen Mut. Du hast nicht die Courage um neu anzufangen. Du bist solange herumgetaumelt, bis du den einfachsten Weg gefunden hast.“

Während Aeris Dyne anstarrte, machte sie einen Schritt auf ihn zu. Unter dem Druck von ihrem Blick verdeckte er sein Gesicht mit seiner Waffe und wich unwillkürlich zurück.

„Barret hat auch einen seiner Arme mit einen Gewehr ersetzt. Er sagte, er würde Shinra mit seinem Hass zerstören. Deswegen befleckte auch er seine Hände mit dem Blut vieler Menschen. Aber er hat sich nicht gehen lassen. Er trägt die Last, und versucht nebenbei noch den Planeten zu retten. Er rennt nicht einfach weg, und er versucht die Welt zu retten, in der Marlene einmal leben wird.“

„…sich so zu ändern ist die Stärke dieses Einfaltspinsels.“

„Ist Barret etwas Besonderes und du bist anders?“

Dyne stöhnte bei dieser Frage auf. Er wachte aus seinem Rausch auf. Das hasste er am meisten… Er war ständig in diesem Rausch, in dem er nicht über sich selbst nachdenken musste, aber Aeris’ direkter Blick lichtete den Nebel aus Wahn, der ihn umgab. Der Panzer um sein Herz fing an, zu splittern.

„Ich rieche das stinkende Blut der Menschen, die ich mit meinen bloßen Händen ermordet habe, bis in die Tiefen meiner Seele. Verstehst du das nicht? Es klammert sich die ganze Zeit an mich. Wenn ich versuche, etwas zu ändern, schleift es mich immer wieder zurück.“

Der rote Nebel, der um Dynes Gestalt schwebte, verdichtete sich. In den vier Jahren nach der Zerstörung von Corel hatte sich Dyne nie darum gekümmert, wie viel Leid er mit seinem Metall-Arm anrichtet. Und nun war er durchnässt von Blut. Es war eine Wand aus Sünde, die Dyne dazu brachte, aufzugeben.

„Wie sollte ich denn neu anfangen? Alles was ich tun konnte, war in meinem Wahn zu bleiben. Alles was ich tun konnte war alles zu hassen und mich selbst ihm Wahnsinn zu ertränken. Hab’ ich etwas Falsches getan?“

„Das war falsch.“

Sie versuchte es nicht mit Zwang, sie näherte sich Dyne lieber vorsichtig. Als sie ihre Hände ausstreckte, berührte sie die Schicht aus Blut, die seinen Körper überzog.

„Das Blut auf dir wird durch deine Schuldgefühle erzeugt. Die Menschen, die du ausgelöscht hast, sind schon längst zu dem Planeten zurückgekehrt. Du kannst nicht vergessen was du getan hast, aber es gibt nichts, das dich davon abhält neu anzufangen. Das verspreche ich dir.“

„…“

Von dem Punkt aus, an dem ihn Aeris berührte, trocknete das Blut, trennte sich von Dyne und ermattete. Dann begann Dynes linker Arm zu verschwinden.

„…Werde ich auch eines Tages zu dem Planeten kommen?“

„Ich bin mir sicher.“

„Wenn Marlenes Leben zu Ende ist und sie hier hinkommt, werde ich sie begrüßen können?“

Aeris schaute ihn an und nickte lächelnd.

„Ja, weil du ganz neu anfangen wirst. Es wird alles in Ordnung sein.“

Dynes blasses Gesicht wurde immer deutlicher. Es sah anders aus als damals, als sie ihn im Gefängnis getroffen hatte. Es war das Gesicht von jemandem, der seine Familie und seine Heimat über alles aufrichtig liebte.

Er konnte nicht in die friedvolle Zeit vor der Tragödie zurückkehren, in der er noch in den Minen von Corel geschwitzt hat. Dyne und Aeris wussten das beide. Aber man kann die Herzen von Menschen wieder aufbauen. Sie können aufstehen und ihren schmerzvollen Erinnerungen gegenübertreten.

„Was kann ich denn in diesem See aus Mako tun? Nein… was muss ich tun? Ich werde weiter an diejenigen denken, die ich ermordet hab. Bis zu den Tag, an dem ich mit dem Planeten verschmelze.“

„Ja, ich denke, das ist eine gute Idee.“

„Aeris, es tut mir leid, wie ich dich behandelt habe. Ich bin froh, dich getroffen zu haben.“

„Du hast mich gar nicht schlecht behandelt.“

„Du bist wirklich ein unerschrockenes Mädchen.“

Zum ersten Mal lächelte Dyne, und seine Gestalt verschwand langsam. Die Spitze von dem Gewehr an seinem linken Arm löste sich auf.

„Nachdem ich gestorben bin und all das erlebt habe, kann ich nun aufhören Barret und Marlene den Rücken zuzukehren. Ich möchte dir danken…“

Kurz bevor er in dem Lebensstrom versank, konnte Aeris etwas sehen.

Sie sah wie die Mako-Partikel ihren Weg zu Dyne fanden, und sie sich auf ihm zusammendrängten als hätten sie einen eigenen Willen. Sie konnte seine schwache überraschte Stimme hören.

„Eleanor?“

Und so führte Aeris ihren Weg fort.

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